Das Archiv
einem Arzt und tu was gegen deinen Husten, Willi. Du bist nicht so krank, nur depressiv. Es ist die Sache mit Herbert, die du überstehen mußt. Und das wirst du. Vielleicht morgen schon, morgen kann alles anders aussehen.«
»Vielleicht«, sagte er. »Vielleicht hast du recht.« Ganz sicher, dachte er, morgen wird alles anders sein. Der Taxifahrer hielt die Wagentüre auf. »Bis bald«, sagte Sonja. Sie küßte ihn auf die Wange. »Bis bald«, sagte er und ging. Sonja sah diesem Mann nach, wie er langsam und mit hängenden Schultern den Weg zurückging. Das sollte derselbe Mann sein, mit dem sie noch vor einer Woche im Bett gelegen hatte? Oh, Bosche, moj bosche. Zweimal fragte der Taxifahrer nach dem Fahrziel. »Reisnerstraße«, sagte sie endlich, »Sowjetische Botschaft.«
XXIII
Naturgemäß sind junge Menschen ehrgeizig, und das ist auch ganz in Ordnung.
Nur in unserer degenerierten hasch- und alkoholverseuchten Welt läßt dieser gesunde Ehrgeiz der Jugend sichtlich nach. Zur Freude und Genugtuung der Führer kommunistischer Staaten, deren Strategie für die Zukunft und für zukünftige Generationen programmiert ist. Zum momentanen Entsetzen der demokratischen Politiker, die zwar von »beängstigenden Entwicklungen unserer Jugend« sprechen und sich auch darüber gebührend entrüsten, jedoch ausschließlich an die nächste Wahl und die eigene Pension in einigen Jahren denken. Und was kümmert sie schließlich, wie es in zwanzig Jahren aussehen wird. In zwanzig Jahren werden sie lange im Ruhestand sein, im wohlverdienten, die Kinder versorgt und schließlich: jede Generation muß mit ihren Problemen selber fertig werden. »Wir mußten es ja auch«, sagen sie und denken berechtigt an die Zeiten, als sie noch jung, hungrig und schlank waren. »Unseren Kindern soll es besser gehen. Also, sei nachsichtig mit unserer Jugend.«
Miroslaw Slobodim brannte vor Ehrgeiz. Er war mit Abstand der beste Student der Politologie auf der Universität Prag gewesen, er hatte dieses internationale Seminar in Moskau mit Auszeichnung absolviert. Und er war nach eingehender theoretischer Schulung nach Wien geschickt worden, mit einem ganz speziellen Auftrag. Diesen erfüllte er nun erfolgreich seit fast vier Jahren. Aber es begann, langweilig zu werden. Anfangs war alles spannend und großartig. Er gewann diese dicke, umständliche Wienerin für sich, vögelte sich die Seele aus dem Leibe, und sein Kontaktmann klopfte ihm auf die Schulter: Brav, Miro. Die Kontaktmänner wechselten, es war jetzt schon der vierte, seine dicke Margareta wurde immer noch dicker und umständlicher, und kein Ende war abzusehen. Was für ein Leben für einen ehrgeizigen Kommunisten!
Jetzt endlich hatte er über seinen Kontaktmann einen hohen Genossen kennengelernt. Die Verbindung mit der fetten Margareta war plötzlich sehr wichtig geworden. »Sie müssen rund um die Uhr auf dem laufenden sein«, hatte der hohe Genosse aus Moskau gesagt. »Rund um die Uhr. Organisieren Sie Ihren Kontakt zu dieser Polizeisekretärin kurzfristig um. Informieren Sie uns unverzüglich über alles, was in der Staatspolizei über die Person Bill Weiss oder dieses Schwein Cooper bekannt wird. Es darf keine Zeit verlorengehen. Jede Stunde kann entscheidend sein. Machen Sie es gut, Genosse. Auf Wiedersehen.« Genosse Miroslaw Slobodim machte es gut, obwohl es gar nicht so einfach war, wie sich der hohe Genosse aus Moskau das vorstellte. Der hatte leicht reden: jede Stunde kann entscheidend sein. Der sollte mal arbeiten mit einem Trampel wie seiner Margareta.
Jeden Abend besuchte er sie nun, ertrug geduldig ihre Launen und lächelte strahlend, wenn sie dumm daherredete: Von einem längsgestreiften Kleid, das sie besonders schlank mache. Von einer neuen Tablettenkur, durch die man bis zu zehn Kilo Gewicht verlieren und dabei nach Herzenslust fressen könne. All diesen Unsinn. Er versprach ihr sogar eine Urlaubsreise nach Mallorca im Frühjahr und hoffte dabei inbrünstig, daß sie bis dorthin der Schlag treffen würde.
Zwischendurch schärfte er ihr ein, daß sie nun täglich auch während der Mittagspause in die Telefonzelle kommen müsse. Wenn sie irgend etwas über Bill Weiss oder Mr. Cooper erfahre, solle sie das auf einen Zettel und zwischen die Seiten hundert und hunderteins in das Telefonbuch einlegen. Miro würde als nächster Telefonbuchbenützer schon draußen warten. Und sie solle verdammt noch einmal so tun, als ob sie ihn nicht kenne. Mindestens ein halbes
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