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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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Rechnung über 900 Schilling. Die Rechnung bezahlte er in bar, zu den Fachärzten aber ging er nicht, obwohl es noch früh am Tage war. Er hatte auch nicht die Absicht, dorthin zu gehen. Statt dessen spazierte er durch die Innenstadt, las Zeitungen in den Kaffeehäusern und wartete auf den Abend. Für neunzehn Uhr war er mit Sonja verabredet.
    Zwischen Zeitunglesen und kleinen Schalen schwarzen Kaffees durchdachte er immer wieder seine Situation, feilte gedanklich seinen Plan aus. Er suchte die Nummer der Amerikanischen Botschaft aus dem Telefonbuch und rief dort an.
    Schon gegen siebzehn Uhr wurde es dunkel in diesen engen, grauen Gassen, und Bill spazierte herum und fror, ging noch kurz in seine Wohnung und spürte ein angenehmes Hungergefühl. Ein sehr gesundes und normales Gefühl, und warum sollte man sich nicht darüber freuen, wenn man weiß, daß man bald etwas dagegen tun kann. »Wenn es dir nicht zu dreckig ist«, sagte Bill, »natürlich kannst du bei mir schlafen.« Sonja meinte, Hauptsache wäre die Dusche, alles andere könne ihretwegen ein Saustall sein. »Hauptsache, ich kann morgens duschen«, sagte sie. Bill zündete sich eine Zigarette an und hustete elend. Er sollte einmal zum Arzt gehen, meinte sie, und ihr Gesicht sah tatsächlich besorgt aus. »War ich schon«, hustete Bill, »war ich schon. Pfefferminztee hilft bei mir nicht mehr. Schaut nicht gut aus hier«, er deutete auf seine Brust, zu weiteren Erklärungen aber war er nicht zu bewegen. Sie saßen also wieder im China-Restaurant unter dem roten Papierlampion, und der Ober mit dem Vorstadtdialekt hatte sie begrüßt wie alte Freunde. Sonja hatte dann erzählt, daß sie ihre Wohnung durchreisenden Freunden zur Verfügung gestellt habe, einem Ehepaar. Für sie allein wäre natürlich schon noch Platz, auf einer Couch im Wohnzimmer, aber Bill …
    »Schon in Ordnung, Sonjuschka«, hatte Bill gesagt, »wenn es dir bei mir nicht zu dreckig ist.« Er hatte so etwas Ähnliches erwartet. Es lief alles genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Da lagen aber nun sein medizinischer Befund und die Überweisungsscheine für die Fachärzte bei ihm zu Hause auf dem Tischchen. Da waren ein paar Notizen und Adressen mit Telefonnummern in seiner Schublade. Ein abgebrochenes Zündhölzchen in der Kastentüre eingeklemmt und ein kleines, unscheinbares Papierstückchen auf seiner Aktentasche, das herunterfallen mußte, wenn man die Tasche öffnete. Er war gut auf Sonjas Besuch vorbereitet. Bill schloß die Tür zu seiner Wohnung – oder zu Herberts Wohnung – auf, er ließ Sonja höflich vorangehen, drehte hinter ihr den Lichtschalter an, führte sie in das kleine Wohn-Schlaf- oder Wassonstnoch-Zimmer und bot ihr einen der beiden Sessel an. Das erste, was er sagte, war ein laut und deutlich vernehmbares »Scheiße«.
    »Hier hat Herbert also gehaust«, sagte Sonja. »Der alte Herbert. Ich hab’ ihn gern gehabt. Er war immer fröhlich, immer gut aufgelegt. Ein Optimist und Phlegmatiker. Er war so, wie du früher warst. Schade um ihn.«
    »Scheiße«, sagte Bill nochmals, diesmal etwas leiser. »Warum fluchst du?«
    »Ich habe nichts zu trinken hier. Zu blöd. Jetzt erst fällt mir das ein. Mach’s dir bequem, wenn du kannst, in dieser Dreckbude. Ich geh’ und hol’ was zu trinken.« Sonja meinte, es wäre doch eigentlich recht gemütlich. Eine Frau fehle halt, das könne man sehen. Daß Bill nochmals weggehen und was zu trinken holen wollte, störte sie nicht. »Bleib nicht zu lange«, sagte sie und zog die Pelzjacke aus. »Wenigstens warm hast du’s. Und fluch’ doch nicht immer so ordinär.«
    Bill ging die Stiegen hinunter, in das Gasthaus um die Ecke, wo er am ersten Tag nach seiner Ankunft in Wien gewesen war. Er sah dort dieselben Gesichter, dieselben Menschen auf denselben Sesseln, nur der Polizist von damals fehlte. Sicherlich würde er später kommen, wenn er im Dienst war oder eben einer seiner Kollegen.
    Bill hatte es nicht eilig. Er bestellte ein Achtel Weißwein an der Theke und dann noch eines und dann erst sagte er dem Wirt, er möge ihm eine Flasche Wein einpacken. Ob eine Liter- oder eine Doppelliterflasche? »Eine große«, sagte Bill. »Ah, da schau her«, hatte der Wirt gesagt, »der Herr Amerikaner, der Freund vom seligen Herrn Winkler. Lange nicht dagewesen der Herr. Ah, da schau her.«
    »Fanny, noch ein Achterl und einen Doppler zum Mitnehmen für den Herrn. Lange nicht dagewesen, der Herr. Weiß man schon, wer den Herrn

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