Das Archiv
Scherbler dachte, was sie wohl diesmal Miro antworten würde auf die Frage, ob sie sich »förmlich, freundlich oder herzlich« begrüßt hatten. Sie entschied sich für freundlich. So war es wohl auch. Hammerlang bestellte anschließend Kaffee, und Margarete Scherbler goß den beiden Herren die Tassen voll und dachte an Miro und sein enttäuschtes Gesicht, denn die beiden Herren schimpften nur über das Wetter und sprachen in ihrer Anwesenheit von nichts anderem.
Das änderte sich schlagartig, nachdem Margarete Scherbler das Chefzimmer verlassen und die Polstertüre geschlossen hatte. Polizeirat Hammerlangs Gesichtsausdruck wurde vorwurfsvoll bis drohend, als er mit eingestreuten Flüchen zu erkennen gab, daß er den Besuch des Herrn Botschaftssekretärs schon viel früher, spätestens vor einer Woche, erwartet habe. »Sie kochen lange Ihre eigene Suppe«, sagte er wörtlich, »aber auslöffeln muß ich sie schließlich. Und das nennt sich dann befreundeter Dienst. Solche Verbündete nützen mir nichts.« Hammerlang konnte sehr direkt sein, wenn er zornig war. Mr. Cooper, der ein druckreifes Deutsch sprach, blieb ruhig. Immerhin habe er dem österreichischen befreundeten Dienst den vollständigen Oflazian-Akt übermittelt, meinte er. Und in der Zwischenzeit sei nichts passiert, und zaubern könne er auch nicht. Hammerlang nickte bei der Erwähnung des Oflazian-Aktes. »Ich kann keine weiteren Leichen in Wien brauchen«, knurrte er bösartig. »Der Präsident sitzt mir im Genick, und ich sage nur eines: Die Herren Agenten sollen sich irgendwo anders umbringen, aber nicht in Österreich und schon gar nicht in Wien. Befreundete Dienste hin und her, macht euere schmutzige Arbeit woanders, aber nicht bei uns, sonst ist es aus mit der Freundschaft.« Danach war ihm leichter. Mr. Cooper zog einen Notizblock aus der Brusttasche. Er sei befugt, die letzten Erkenntnisse seines Dienstes bekanntzugeben. Hammerlang lehnte sich zurück, er meinte, es wäre höchste Zeit, aber er fluchte nicht mehr. Ausgehend von dem Oflazian-Akt berichtete nun Mr. Cooper sachlich vorerst Dinge, die Hammerlang ohnehin schon wußte: Der Armenier Jussuf Oflazian war während des zweiten Weltkrieges SS-Sturmbannführer unter dem Namen Josef Offenbach und hatte im Reichsicherheitshauptamt VI E mit Hauptquartier in Budapest gearbeitet. Zuständigkeitsbereich waren der Nahe Osten und die Balkanländer. Noch vor Ende des Krieges war er untergetaucht, hatte seinen Namen geändert, Verbindung zu den westlichen Alliierten aufgenommen und sich gleich nach Kriegsende in Wien etabliert. Schon damals stand er mit Rossmanek in nachrichtendienstlicher Verbindung. Später ging er nach Beirut, unterhielt dort eine Art privaten Nachrichtendienst und verdiente damit Millionen. Die Verbindung Rossmanek – Oflazian hatte bis zum Tode der beiden, sie waren im selben Jahre gestorben, weiterbestanden. John Berger, ein Australier und eine Art Adoptivsohn von Oflazian, hatte dessen privaten Nachrichtendienst übernommen. Dies passierte etwa zur selben Zeit, als nach dem Tode Rossmaneks der Österreicher Herbert Winkler einen Schrebergarten mit Holzhütte und Bibliothek und auch sonst noch einiges geerbt hatte.
»Auch das Archiv?« unterbrach Hammerlang brutal, und erhielt eine klare Antwort. Jawohl, auch das Archiv Rossmaneks. »Aber bitte unterbrechen Sie mich nicht«, knurrte nun auch Mr. Cooper bissig, »ich verlier’ sonst den Faden.«
»Wollte nur wissen, ob dieses Archiv wirklich existiert.« Hammerlangs Laune schien sich zu bessern. Dieser Adoptivsohn Oflazians, John Berger, sei an sich kein Professional gewesen, kein gelernter Nachrichtendienstler. Seine Frau und Tochter seien 1973 in Athen Opfer einer palästinensischen Flugzeugentführung und eines Geiseldramas geworden. Daraufhin habe dieser John Berger durchgedreht und aus persönlicher Rache mehrere palästinensische Terroristenführer abgemurkst. »Auf ziemlich grausame Art«, setzte Mr. Cooper fort. »Er war der sogenannte Sprechpuppenmörder von 1973. Sie erinnern sich sicherlich, er wurde nie gefunden. Kunststück, der alte Oflazian hielt seine schützende Hand über ihn.«
»Ich erinnere mich«, sagte Hammerlang, er dachte an das Telefonat mit Chef Inspektor Marcel Trudeau aus Paris. Es sei ja inzwischen bekannt und sozusagen ein alter Hut, setzte Mr. Cooper fort, daß dieser Sprechpuppenmörder John Berger der Tote in Herbert Winklers Kofferraum gewesen war. »Nach unseren Erkenntnissen«, sagte
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