Das Arrangement

erklären, außer in ihren Gedanken. Und dabei hatte sie einen Entschluss gefasst.
    Er hatte zum letzten Mal ihre Verletzlichkeit ausgenutzt.
    Während sie registrierte, dass es immer noch klingelte, kitzelte ein wohltuender Duft ihren Geruchssinn. War das Kaffee? Nach dem Dinner am vergangenen Abend hatte Julia sie und Andrew durch das ganze Gebäude geführt, inklusive dem neu eingerichteten Wohnzimmer im Erdgeschoss von Sea Clouds. Sie hatte ihnen erklärt, dass Rebecca, die im zweiten Stock ein eigenes Zimmer bewohnte, jeden Morgen ein englisches Frühstück in diesem Familienraum anrichtete.
    Alison nahm an, dass sich dort alle aufhielten. Aber sie hatte sich in diesem riesigen Haus vollkommen verlaufen – und dieses verflixte Klingeln wollte einfach nicht aufhören! Sie hatte keine Ahnung, ob es das Telefon oder an der Haustür war, aber es wurde lauter, als sie ins Foyer kam. Hinter dem geschliffenen Glas der Eingangstür zeichnete sich eine dunkle Silhouette ab und sie nahm an, es wäre Andrew, der von seinem Spaziergang zurückkam.
    “Du brauchst nicht zu klingeln, du gehörst zur Familie”, sagte sie ungeduldig, während sie die Tür öffnete.
    Doch es war nicht Andrew, der draußen stand.
    “Oh, Pardon.” Die haselnussbraunen Raubtieraugen und der scharfe Blick, als wäre er auf der Jagd, kamen ihr gleich bekannt vor. Er hatte sich überhaupt nicht verändert. Seine scharfen Gesichtszüge waren ihr schon immer unheimlich gewesen, weil sie nicht gerade von Feinfühligkeit zeugten. Kein besonders hübscher Junge. “Tony
Bogart?”
    Er konnte den Blick gar nicht von ihrem Haar abwenden. “Ich hatte dich als Blondine in Erinnerung”, sagte er.
    Alison fühlte sich unter seinem musternden Blick wie ein Labortier. Sie hatte an diesem Morgen ein leichtes Kleid aus Baumwolle übergestreift, das überaus luftig war und deshalb auch viel Haut zeigte. Seinetwegen bereute sie nun ihre Wahl.
    “Das ist meine Naturfarbe”, entgegnete sie und entschied, dass keine weitere Erklärung notwendig sei. Er musste von ihrem Unfall gehört haben, doch sie bezweifelte, dass das der Grund seines Besuches war. Sie hoffte inständig, dass es nichts mit jener geheimen Vergangenheit zu tun hatte, die sie und Tony Bogart teilten. Während ihrer Jugend hatten die beiden gegen den Willen ihrer Eltern zusammen herumgehangen. Zu jener Zeit waren sie Teenager gewesen, aber die Beziehung des reichen Mädchens mit dem armen Jungen war wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Es war endgültig aus gewesen, als Tony herausfand, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gab. Er hatte ihr sogar in einem Restaurant im Ort einen Antrag machen wollen, als Andrew dazwischenplatzte. Alison konnte sich gut vorstellen, wie erniedrigt Tony sich gefühlt haben musste. Kurz darauf hatte er seine Sachen gepackt und die Stadt verlassen, und das war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte.
    “Bist du wieder zurück nach Hause gekommen?”, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
    “Ich lebe jetzt in Virginia”, erwiderte er, “in der Nähe von Quantico. Ich bin wegen einer persönlichen Angelegenheit wieder in Mirage Bay.”
    “Quantico? Das ist …”
    Er nickte. “FBI-Hauptquartier. Ich arbeite als Special Agent.”
    Zu den Berufen, in denen sie sich Tony Bogart hätte vorstellen können, gehörte ein FBI-Agent nicht gerade. Im Augenblick stand er auf der Veranda in zerschlissenen Bluejeans und einem schwarzen T-Shirt und glich eher einem Rebell als einem Mann des Gesetzes. Er hielt etwas in der Hand, das wie eine Fotografie aussah, doch sie konnte nur die Rückseite sehen.
    “Besuchst du deinen Vater?”, wollte sie wissen.
    Er hob eine Augenbraue. “Hellsehen kannst du offensichtlich nicht. Ich bin hier wegen des Mordes an Butch. Du hast doch sicher davon gehört?”
    Alison betete im Stillen, dass ihr Gesicht nicht wieder Feuer fing. Sie wusste ganz genau über Butchs Tod Bescheid. Während Andrew auf einer Geschäftsreise war, hatte sie in seinem Arbeitszimmer herumgeschnüffelt und versucht, etwas mehr über ihren mysteriösen Ehemann und sein abgeschirmtes Leben zu erfahren. Dabei hatte sie Ausgaben der Lokalzeitung von Mirage Bay gefunden, die aus der Zeit ihres Unfalls stammten.
    Diese Entdeckung hatte sie nicht weiter überrascht, schließlich war es in Andrews eigenem Interesse, mehr über den Bootsunfall und die Untersuchung der Geschichte zu erfahren. Der Mord an Butch Bogart war am selben Tag passiert, deshalb