Das Arrangement
Sanddünen. Es war eines der wenigen modernen Gebäude in Oyster Bay Cove, und Andrew hatte auch die Inneneinrichtung hell und schlicht gehalten, damit nichts von der Schönheit der Küstenlandschaft und des Meeres ablenken würde.
Als sie in die Duschkabine schlüpfte, klingelten die Anhänger an ihrem Handgelenk leise. In letzter Zeit hatte sie das Armband nie abgenommen, nicht mal zum Baden. Ohne das Schmuckstück fühlte sie sich zu verletzlich. Ein Teil ihres Lebens war verloren gegangen, und an bestimmte Einzelheiten ihrer Vergangenheit erinnerte sie sich nur noch verschwommen, doch sie sah sich selbst vor dem Unfall als eine abenteuerlustige Person. Manche hätten vielleicht sogar gesagt, leichtsinnig. Nun war sie ständig darauf bedacht, sich zu schützen. Auf ihrem Nachttisch neben dem Bett bewahrte sie einen Briefbeschwerer aus Marmor auf, und in der Schublade lag ein Küchenmesser, nur für den Fall.
Sie drehte an dem Hahn der glänzenden Stahlarmatur, und von oben rauschte dampfend heißes Wasser herunter. Sie liebte diese Regenwalddusche. Wenn sie darunterstand, hatte sie tatsächlich das Gefühl, als wäre sie in einen tropischen Wolkenbruch geraten.
Als sie ein paar Minuten später aus der Dusche stieg und sich ein Handtuch umwickelte, spürte sie, dass sich etwas im Raum verändert hatte. Doch alles sah genauso aus wie vorher, während sie noch tropfnass durchs Badezimmer lief.
Erst in ihrem Schlafzimmer entdeckte sie dann einen Brief auf dem Schreibtisch, zusammen mit einer handgeschriebenen Notiz. Der geprägte Umschlag war aus blassblauem Leinen und so zart und glatt wie Seide. Er war an sie adressiert, aber bereits geöffnet und auch gelesen. Das wusste sie, da Andrews Notiz neben dem Umschlag lag. Er hatte nur zwei Sätze geschrieben und seinen Namen mit dem üblichen geschwungenen großen “A” daruntergesetzt.
Alison, diesmal ist es unumgänglich. Wir müssen gehen. Andrew.
Sie zog den gleichfarbigen Briefbogen aus dem Umschlag und spürte, dass ihre Nerven zum Zerbersten angespannt waren. Sie verschlang den Inhalt des Briefes regelrecht.
Meine liebste Tochter
,
dein Schweigen bricht mir das Herz. Bald wirst du achtundzwanzig, und obwohl keine Einladung notwendig ist, da dies hier immer dein Zuhause bleiben wird, werde ich trotzdem eine schreiben, damit du siehst, wie sehnlichst ich dich wiedersehen möchte.
Bitte komm nach Sea Clouds, um mit deinem Bruder und mir deinen Geburtstag zu feiern. Andrew ist natürlich auch eingeladen.
Ich vermisse dich so sehr.
Alles Liebe, deine Mutter
Alisons Kehle fühlte sich vollkommen ausgetrocknet an. Einladung? Das war eine Aufforderung, bei ihrer Mutter zu erscheinen. Sie hatte gewusst, dass es passieren würde, aber deshalb war es nicht weniger katastrophal. Andrew hatte ihre Mutter seit dem Unfall von ihr ferngehalten. Dies sei zu Alisons Schutz geschehen, um ihr Zeit zu lassen, sich zu erholen und darauf vorzubereiten. Doch Julia Fairmont hatte ihr wieder und wieder Zeichen ihrer Versöhnungsbereitschaft gesandt. Sie wollte ihre einzige Tochter sehen, und niemand konnte Alison jetzt noch schützen.
Am liebsten hätte sie den teuren Briefbogen in den Schredder gegeben und zu einem Haufen Papierstreifen verarbeitet. Doch nicht mal für diesen symbolischen Verzweiflungsakt hatte sie die Kraft. Sie fühlte sich, als hätte sie vollkommen die Kontrolle über ihr Leben verloren, als sei sie eine Schachfigur, die von Meisterspielern herumgeschoben wird, und einer davon war ihr Ehemann.
Der Brief war nur ein Beispiel. Er war an sie adressiert, aber Andrew hatte ihn geöffnet, gelesen und ihr gesagt, wie sie darauf reagieren würden, auch wenn die Entscheidung
ihr
Leben betraf,
ihre
Familie – und deshalb von ihr hätte getroffen werden sollen. Nun da er glaubte, es sei an der Zeit, die Beziehung zu ihrer Mutter ins Reine zu bringen, würde dies auch geschehen. Obwohl es ein Teil der Abmachung war, die Alison mit ihm getroffen hatte, gefiel ihr der Gedanke nicht, unter diesen Umständen nach Mirage Bay zurückzukehren.
Sie hatte nur aus gewissen persönlichen Gründen eingewilligt, die ihr sehr wichtig waren. Aus genau denselben Gründen blieb sie auch hier in diesem Haus und ertrug Andrews ständige Einmischungen. Unglücklicherweise musste sie ihn nun ins Vertrauen ziehen, denn sie würde in Mirage Bay seine Hilfe benötigen. Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Besuch dort.
Die Einladung ihrer Mutter hing gewiss mit dem
Weitere Kostenlose Bücher