Das Arrangement
Fünfzig-Millionen-Dollar-Treuhandvermögen zusammen, das an Alisons achtundzwanzigstem Geburtstag an sie hätte übertragen werden sollen, wenn sie nicht auf die Reichtümer ihrer Familie verzichtet und Andrew geheiratet hätte. Julia Fairmont hatte vor Wut fast einen Schlaganfall bekommen. Sie hatte für vier Jahre jeden Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen, und Andrews Berichten zufolge war das nicht einseitig gewesen. Auch Alison hatte lange keinen Versuch unternommen, diese Kluft zu überwinden.
Doch im vergangenen Februar hatte Alison in einem Anfall von Gewissensbissen ihren Mann überredet, den Winter in Mirage Bay zu verbringen, sodass sie sich mit ihrer Mutter aussöhnen könne. Anfang des Jahres hatte Andrew dann die Bladerunner für Ausbesserungen zurück an die Westküste gebracht, damit sie auch dort nicht auf sein geliebtes Schiff verzichten mussten.
Alles hätte so schön sein können, doch Alisons Mutter hatte das Friedensangebot brüsk zurückgewiesen – und dann auf einer ihrer Segeltouren hatte es diesen dramatischen Wetterumschwung gegeben, bei dem Alison ins Wasser gestürzt war. Nun plötzlich sollte alles vergeben und vergessen sein. Ihre Mutter wollte sie zurück. Irgendetwas daran erschien Alison merkwürdig, und Andrews Drängen verstärkte den Druck auf sie nur noch.
Es störte Alison, dass er in ihr Zimmer gekommen war, während sie geduscht oder möglicherweise auch während sie geschlafen hatte. Es war nicht das erste Mal gewesen. Mindestens zweimal hatte sie Anzeichen dafür gefunden, dass er unbemerkt in ihrem Zimmer gewesen war. Eine offen gelassene Tür oder wie heute eine Nachricht.
Es würde sie nicht überraschen, wenn er sie von seiner ständigen Anwesenheit wissen lassen wollte, damit sie sich nie vollständig in Sicherheit wiegte, auch nicht im Schlaf. Ihre Tabletten, von denen er nichts ahnte, lösten jedoch dieses Problem. Die Ärzte und Krankenschwestern, bei denen sie in Behandlung war, stellten ihr stillschweigend weiterhin die Rezepte aus oder versorgten sie mit Ärztemustern.
Manchmal fühlte sie sich in diesem Haus wie eine Geisel. Beizeiten hatte sie dieser Gedanke so sehr beschäftigt, dass sie sich im Internet ausgiebig über die Dynamik der Geiselnahme informiert hatte. Der Widerstand einer Gefangenen – und ihr Wille – können systematisch gebrochen werden, wenn man immer wieder ihre Privatsphäre stört. Wenn man in den persönlichsten Bereich eines Menschen eindringt, steigt das Angstgefühl – was den paradoxen Effekt hat, dass sich die Geisel von ihrem Geiselnehmer noch abhängiger fühlt.
Zuerst hatte sie das nicht wahrhaben wollen. Andrew unterdrückte sie nicht. Er schützte sie. Er hatte ihr das Leben gerettet. Doch irgendwann musste sie sich die Wahrheit eingestehen. Sie wusste nicht, wie oft er in ihrem Zimmer gewesen war, ohne dass sie es bemerkt hatte, und auch nicht, was er in dieser Zeit machte – allein schon bei dem Gedanken daran hätte sie am liebsten gleich noch eine Beruhigungspille geschluckt. Wenn sie ihr Leben nicht bald wieder in den Griff bekam, würde sie womöglich noch tablettensüchtig werden.
Ihr begehbarer Schrank hatte die Ausmaße eines kleinen Schlafzimmers. Es gab darin Unmengen an Outfits, die ihr zur Auswahl standen, doch sie wählte dasselbe, was sie am Tag zuvor bereits getragen hatte, ein Paar weiße Shorts und ein schwarzes Tanktop. Mit Shorts konnte man an einem Julimorgen am Strand nichts falsch machen. Wenn die Sachen ein bisschen locker saßen, dann lag das daran, dass sie nach ihrem Martyrium die verlorenen Pfunde nicht wieder zugenommen hatte.
Ihr Haar war noch von der Dusche nass und würde sich in wilde Locken kringeln, wenn sie es einfach so trocknen ließ. Zumindest hatte sie ihre Naturhaarfarbe zurück. Entgegen Andrews Wünschen hatte sie vor einiger Zeit aufgehört, sich das Haar zu blondieren und es in ihrem natürlichen Ton gefärbt. Nun war die Tönung beinahe vollständig herausgewachsen und ihr Haar erstrahlte wieder in einem satten Rehbraun. Endlich hatte sie das Gefühl, wieder sie selbst zu sein.
Sie stellte den Föhn auf die höchste Stufe. Das gehörte zu dem Teil ihres Morgenrituals, den sie am wenigsten mochte – Haare trocken föhnen, sich schminken und zurechtmachen. Nichts von alldem interessierte sie besonders – und wen würde sie denn schon treffen? Sie lebte im selben Haus mit einem Mann, von dem sie seit über einer Woche keine Spur gesehen hatte. Die Chance, sich zu
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