Das Aschenkreuz
Tür und hab ihn angeschrien, er solle aufhören. Da hat er sich erschrocken zu mir herumgedreht, war ins Wanken geraten und nach hinten umgefallen. Gradwegs mit dem Schädel gegen den Bettpfosten ist er gekracht und gleich zu Boden gesunken. Danach kam dann schon bald Euer Bischof mit den anderen.»
Achaz verzog die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. Er glaubte ihr also nicht.
«Der Sturz auf den Pfosten könnte theoretisch tödlich gewesen sein, so viel Blut, wie sich dort findet.
Könnte
, sage ich. Doch die Wunde weist alle Merkmale auf, dass es einen zweiten Schlag gegeben haben muss. Beispielsweise mit einem Eisenstab, wie ich ihn soeben unter dem Bett entdeckt habe und wie man ihn unter euch Frauen zum Kräuseln der Haare benutzt.»
Serafina spürte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Dennoch hielt sie seinem durchdringenden Blick stand.
«Glaubt Ihr mir wenigstens, dass dieser Kerl gewalttätig war?», fragte sie leise. «Dass meine Freundin hier in höchstem Maße bedroht war? Oder gehört Ihr zu den Männern, die meinen, dass Huren Freiwild sind, mit denen man umspringen kann, wie man will?»
Er sah sie unbeirrt an.
«Nein, zu denen gehöre ich nicht, Serafina. Und ich weiß nur zu gut, was für ein Erzlump Ekkehart war. Wie dem auch sei – ich werde dieses Eisen da an mich nehmen.»
Er wickelte den Stab in den Leinenstreifen und ließ ihn in seiner Tasche verschwinden. Unter Serafinas Füßen begann der Boden zu schwanken, als sie in Richtung Tür ging. Achaz’ Stimme ließ sie innehalten.
«Ihr müsst leider hierbleiben, bis der Bischof zurück ist.»
Kraftlos gehorchte Serafina. Ihr Schicksal als Totschlägerin des bischöflichen Leibwächters war besiegelt. In Fesseln würde man sie vor das Malefizgericht schleifen und nach qualvollen Tagen Kerkerhaft im Bodensee ertränken.
Eine schier endlose halbe Stunde später war Humbert von Neuenburg zurück, in geistlichem Gewand und in Begleitung eines Stadtbüttels, eines Gerichtsschreibers und eines jungen Vikars. Serafina, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte, lehnte noch immer am Türpfosten.
«Lasst uns rasch die Formalitäten erledigen, damit ich mich um Ekkeharts arme Seele kümmern kann», beschied der Bischof. «Wie also ist er zu Tode gekommen?»
«Die Diagnose ist eindeutig.» Der Medicus hakte den Verschluss seiner Tasche ein und klemmte sie sich unter den Arm. «Tödlicher Sturz bei Volltrunkenheit. Ein tragischer Unfall also.»
Serafina hatte die Luft angehalten. Dann schossen ihr Tränen der Erleichterung in die Augen. Bis zuletzt war sie überzeugt gewesen, dass der Arzt seinem Bischof die Tatwaffe darreichen und die Wahrheit offenbaren würde.
«Können wir jetzt gehen, Resi und ich?» Ihre Stimme zitterte.
Der Bischof nickte unwirsch, und Serafina spürte, wie Achaz ihr mit Blicken folgte, bis sie mit Resi im Flur verschwunden war.
«Gehen wir in die Badstube, uns waschen.»
Im Haus herrschte eine für diese Stunde ungewohnte Stille. Für den Rest des Abends nämlich hatte Meister Gerhard das Frauenhaus geschlossen.
«Ich bin dir so dankbar», flüsterte Resi, während sie sich beide das Blut von Händen und Armen schrubbten. Auch ihre Kleidung war befleckt.
«Dankbar müssen wir diesem Medicus sein. Er hat alles durchschaut. – Wenn du nicht allein sein willst heute Nacht, kannst du bei mir schlafen.»
«Nein, es geht schon wieder.»
Nachdem sie Resi zur Haustür gebracht hatte, stieg Serafina mit bleischweren Beinen hinauf zu ihrer Dachwohnung. Aus dem Totenzimmer hörte sie leises Gemurmel. Dass sie noch einmal mit heiler Haut davongekommen war, änderte nichts daran, dass durch ihre Hand ein Mensch zu Tode gekommen war. Ganz gleich, ob nun durch ihren Schlag oder durch den Sturz. Und dennoch – sie hätte es wieder getan, hätte gar nicht anders handeln können. Allein, um Resi vor diesem gewalttätigen Schurken zu schützen.
Während sie ihr schmutziges Gewand auszog, dachte sie darüber nach, dass Gott ihr mit diesem schrecklichen Vorfall ganz gewiss ein Zeichen geben wollte. Und plötzlich wusste sie, dass der Zeitpunkt gekommen war, mit ihrem Handwerk aufzuhören, nicht nur des Alters wegen. Sie musste Konstanz baldmöglichst verlassen und irgendwo neu anfangen, als Magd oder Taglöhnerin. Es würde ihr schwerfallen, in der Fremde noch einmal Fuß zu fassen, aber hier konnte sie nie sicher sein, dass ihre Tat nicht doch noch aufgedeckt würde.
Sie streifte sich ein schlichtes Kleid über und
Weitere Kostenlose Bücher