Das Aschenkreuz
beschloss, das Gasthaus gegenüber aufzusuchen. Alles in ihr strebte danach, diesem Leibarzt des Bischofs zu danken. Da es draußen bereits dunkelte, entzündete sie ihre Handlampe, bedeckte ihr Haar mit einem Tuch und machte sich auf den Weg.
Sie fand den Medicus in der hintersten Ecke der weitläufigen Wirtstube, wo er allein vor einem Krug Wein saß. Ziemlich verloren wirkte er, wie er da mit hängenden Schultern auf die Tischplatte stierte. Sie hätte nicht sagen können, warum, aber aus irgendeinem Grund tat er ihr leid. Als sie sich ihm gegenüber niederließ, sah er erstaunt auf.
«Ich wollte Euch von Herzen danken, Medicus. Es wäre ein Leichtes gewesen, mich vor Gericht zu bringen.»
Achaz winkte nur müde ab.
«Ich hoffe, Ihr habt nun kein schlechtes Gewissen», fuhr sie fort.
«Warum sollte ich?» Seine Augen glänzten.
«Weil Ihr für mich gelogen habt. Für eine Wildfremde.»
Er lächelte, ohne dass er dadurch fröhlicher gewirkt hätte.
«Was heißt schon gelogen. Es hätte doch durchaus ein Unfall sein können. Außerdem nimmt es selbst ein Bischof mit der Wahrheit nicht allzu genau. Von wegen, keine Zeit zur Beichte. Ekkehart ist erst unter meinen Händen gestorben, da wäre für ein wenig seelischen Beistand gewiss noch Zeit gewesen. Ach, was soll’s.»
Sie merkte, dass er leicht angetrunken war. Zumindest war der Krug vor ihm leer.
«Macht Euch also keine unnützen Gedanken. Ich halte Euch für unschuldig. Und dieser Ekkehart war ein Hundsfott, dem bis auf meinen Bischof keiner eine Träne nachweinen wird. Ich musste Euch einfach helfen, weil …»
Er brach ab.
«Was weil?»
«Weil ich schon einmal …» Er sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand. «… aus lauter Dummheit das Leben einer Frau und ihres Kindes verwirkt habe. Ihr, Serafina – Ihr erinnert mich übrigens an diese Frau.»
Beinahe zärtlich hatte er ihren Namen ausgesprochen. Er machte dem Wirt ein Zeichen, und gleich darauf stand ein zweiter Becher und ein wohlgefüllter Krug auf dem Tisch.
«Heut ausnahmsweise mal in liebreizender Gesellschaft, Medicus?», flachste der Wirt und schenkte ihnen ein. «Noch dazu mit der schönen Serafina.»
«Halt deinen Schnabel, Bertschi», fuhr Serafina dazwischen. Sie nahm einen tiefen Schluck. Der schwere, süße Wein tat ihr gut.
«Ich heiße übrigens Achaz.» Er verzog den Mund zu einem Grinsen und wirkte damit schlagartig um etliches jünger. Eigentlich ist er ein ansehnliches Mannsbild, dachte Serafina bei sich. Laut sagte sie:
«Das weiß ich längst.»
«
Adalbert
Achaz.»
«Hört, Adalbert Achaz – ich weiß, wie hoch ich in Eurer Schuld stehe. Es hätte böse ausgehen können für mich.»
Sie ergriff seine Hände. Für seine kräftige Statur waren sie unerwartet feingliedrig. Groß und stark wie ein Bär war dieser Mann und wirkte in diesem Augenblick doch wie ein ratloser kleiner Junge. Plötzlich wusste sie, dass er ihr gefiel.
«Geld hab ich nicht viel», fuhr sie fort, «für Eure Verhältnisse wäre es ein Muckenschiss, was ich Euch geben könnte. Aber ich kann Euch das anbieten, was meines Handwerks ist. Ich biete Euch eine ganze Nacht.»
Augenblicklich war das jungenhafte Grinsen verschwunden. Erschrocken zog er seine Hände zurück.
«Nein, nein», stotterte er, «um Himmels willen.»
«So gefall ich Euch also nicht? Ich bin Euch zu alt! Ist es das? Sagt es nur frei heraus.»
«Nein, nein, ganz und gar nicht.»
«Ich versteh schon – Ihr seid kein Mann für öffentliche Frauen.» Sie kämpfte dagegen an, sich gedemütigt zu fühlen. «Wahrscheinlich ist es Euch mehr als unangenehm, hier mit mir gesehen zu werden.»
«Was redet Ihr da, Serafina? Ich wollte Euch nicht kränken, wirklich nicht. Es ist nur – wie soll ich’s erklären …»
Er brach ab und schenkte ihr nach.
«Auf Euer Wohl, Serafina. Ihr seid eine ganz ungewöhnliche Frau. Und schön obendrein. Hat Euch schon mal ein Mann gesagt, welche Wirkung Eure tiefblauen Augen zu dem dunklen Haar haben? Dazu die feine Zeichnung Eurer Brauen … Ein Maler könnte das nicht schöner hervorzaubern.» Er wirkte verwirrt. «Ach, was red ich da für einen Unsinn – andauernd werdet Ihr Euch das anhören.»
Erneut stierte er vor sich hin. Ohne etwas zu erwidern, trank Serafina ihren Becher leer. Ganz plötzlich war ihr zum Heulen zumute.
«Ich muss gehen. Das alles war ein bisschen viel heute.»
«Wartet, ich bring Euch vor die Tür.»
Als sie die Gasse überqueren wollte, hielt er sie
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