Das Aschenkreuz
Weg.
«Euer Zwerg hat großen Spaß mit seinen neuen Freunden, den Ratten und Flöhen.»
Heiltrud warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
«Halt bloß dein herzloses Maul, Endres!»
Eines musste man Heiltrud lassen, dachte Serafina. So mürrisch und unfreundlich sie meist war, so ließ sie sich andererseits auch von keinem so schnell ins Bockshorn jagen.
«Du kennst den Kerl?», fragte sie, während sie sich durch das Feierabendgewühl der Marktstraße zwängten.
«Nur allzu gut.»
Ein ganz klein wenig versetzte Serafina diese Antwort einen Stich. Wann immer sie mit ihren Gefährtinnen unterwegs war, hieß es: Den kenne ich von hier, die kenne ich von dort. Alle im Haus Zum Christoffel waren in der Stadt oder in der näheren Umgebung aufgewachsen, hatten hier ihre Familien und kannten die halbe Einwohnerschaft. Nur sie nicht. Ihr waren die allermeisten Menschen fremd.
Sie knuffte Heiltrud in die Seite. «Nun red schon. Was ist dieser Endres für einer?»
«Er war mit meiner Schwester verheiratet.»
«Ach nein! Und wieso
war
?»
«Sie starb im Kindbett, mit ihrem vierten.»
«Das tut mir leid. Und Endres?»
Heiltrud schnaubte verächtlich. «Ihr Leichnam war noch nicht kalt, da hatte der Kerl schon ein neues Weib angeschleppt, eine Witwe, deren Erbe er ruck, zuck verprasst hat. Inzwischen kümmert er sich um gar nichts mehr. Die Kinder verwahrlosen, das Haus ist verlottert, weil er jeden Pfennig seines mageren Lohnes versäuft und verspielt.»
Serafina hatte ihr aufmerksam zugehört. Ein Gedanke reifte in ihr heran, wie sie diesen garstigen Turmwart für ihre Absichten einspannen konnte.
«Glaubst du eigentlich an Barnabas’ Unschuld?», fragte sie nach einem Moment des Schweigens.
«Würd ich sonst mit dir hier durch die Gegend tappen? Ich hätt wahrlich genug andres zu tun.»
«Wie wir alle, ich weiß», seufzte Serafina und blieb stehen. Sie waren an der Laube zur Unteren Metzig angelangt. Von hier führte die Rossgasse zu den Barfüßermönchen und weiter zu ihrem kleinen Konvent.
«Kommst du nicht mit nach Hause?», fragte Heiltrud.
«Nein, ich will noch nach der Beutlerwitwe sehen. Der Bader hat ihr gesagt, sie soll jeden Tag ein wenig laufen mit ihrem kranken Fuß, und das geht nur, wenn jemand sie stützt. Willst du mich nicht begleiten?»
Heiltrud schüttelte den Kopf. «Ich muss noch einen Berg Wäsche waschen. Von der Betreuung kranker und armer Seelen allein können wir schließlich nicht leben.»
«Bis später also. Gib bitte Mutter Catharina Bescheid, wo ich bin.»
Als Heiltrud zögerte weiterzugehen, fragte Serafina: «Ist noch etwas?»
«Nein – oder doch. Sag mal, warst du wirklich nie verheiratet?»
Wahrheitsgemäß verneinte Serafina diese Frage.
«Und einen Mann – eine Liebe – gab es das in deinem Leben?»
Erstaunt sah sie Heiltrud an. Fing sie schon wieder an mit diesem elenden Bohren in ihrer Vergangenheit? Doch ihre Miene wirkte nicht lauernd, wie sonst bei ihrer Fragerei, sondern irgendwie traurig. Das ließ sie noch älter und verknitterter wirken.
«Es war halt nie der Richtige dabei», erwiderte Serafina ausweichend.
«Das versteh ich nicht. Du bist eine so schöne Frau, selbst in deiner grauen Beginentracht. Immer wieder glotzen dir die Mannsbilder hinterher, und wenn sie einen Blick, ein Lächeln von dir bekommen, schmelzen sie fast dahin.»
Standen da nicht Tränen in ihren Augen?
«Aber Heiltrud, was ist auf einmal mit dir?»
«Nichts», gab sie barsch zurück. «Vergiss, was ich gesagt habe.»
Dann stapfte sie davon, mit gebeugtem Rücken, als habe sie eine schwere Last zu tragen. Serafina spürte plötzlich Mitleid mit der verhärmten Frau, die sich selbst im Weg zu stehen schien. Würde sie nur hie und da auch einmal herzhaft lachen, beim Morgenessen mit den anderen tratschen und scherzen – um wie viel leichter könnte ihr Leben sein.
Nachdenklich ging sie die Große Gass hinunter in Richtung Schneckenvorstadt. Plötzlich hielt sie inne. Aus dem ehrwürdigen Wirtshaus Zum Elephanten trat eine ihr wohlbekannte Gestalt und hielt direkt auf sie zu. Adalbert Achaz! So war er also zurück aus Basel.
Nun gut, das war
die
Gelegenheit, ihn zu fragen, was er über den Mordfall und den Leichnam von Bruder Rochus wusste. Sie straffte die Schultern und beschleunigte ihren Schritt. Als sie sich ihm auf zwei Pferdelängen genähert hatte, trafen sich ihre Blicke. Da wechselte Achaz unvermittelt die Straßenseite und wäre in seiner Eile ums Haar vor die
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