Das Aschenkreuz
man fortan zu den Unehrlichen.»
«Eine schöne Freiheit ist das», entfuhr es Grethe, während Serafina gegen die Tränen ankämpfen musste. Sie blickte reihum in die Gesichter ihre Gefährtinnen.
«Wir alle hier», sprach sie mit belegter Stimme, «sind im Glauben bestimmt um einiges gefestigter als Barnabas. Und trotzdem: Wer unter uns würde standhalten, wenn uns beim Aufspannen auf die Streckleiter die Knochen aus den Gelenken springen, wenn uns in den Schrauben Finger und Beine zerquetscht werden? Ich jedenfalls nicht. Ich würde am Ende alles zugeben, nur damit die Tortur ein Ende hat. Auch einen Mord.»
«Hör auf, so zu reden», bat Mette mit kreidebleichem Gesicht.
Serafina starrte zu Boden. Sie musste daran denken, wie sie in Konstanz einmal einen endlichen Rechtstag miterlebt hatte, bei dem der Stab über einem angeblichen Mordbrenner gebrochen wurde. Öffentlich, vor aller Augen auf dem Münsterplatz, hatten sich unter dem Vorsitz des Schultheißen zwei Dutzend Gerichtsherren versammelt, um in einem schier endlosen Palaver über Leben und Tod zu verhandeln. Zu Serafinas Verblüffung hatten jede Rede und Gegenrede, jede Gebärde, jeder Platzwechsel der Teilnehmer genau einstudiert gewirkt, gerade so, als hätten die hohen Herren ihre Rolle auswendig gelernt. Dabei wurden so unsinnige Fragen gestellt, ob man über diesen Fall nun ganz nach altem Brauch und Herkommen kaiserliches Recht ergehen lassen solle oder ob man zur richtigen Tageszeit zusammengekommen sei. Dreimal hatte der Schreiber das nach erfolgter Tortur abgelegte Geständnis verlesen, damit der Wortlaut auch dem dümmlichsten der zahllosen Zuhörer im Gedächtnis haften blieb. Am Ende erfragte der Richter von den Anwesenden das Urteil, das alsbald feststand: Tod durch Rädern von unten nach oben.
In diesem Augenblick hatte der Malefikant laut schreiend und am ganzen Leib zitternd sein Geständnis widerrufen und einen Unschuldsbeweis gefordert. Daraufhin hatten die beiden Schöffen, die in der Fragstatt Zeuge der Tortur gewesen waren, einfach ein weiteres Mal den Wahrheitsgehalt des erfolterten Geständnisses bestätigt, und damit war der arme Mann überführt. Er wurde sogleich, in der Obhut eines Priesters, dem Scharfrichter übergeben. Das Weitere, nämlich den Disput, ob man sein Vermögen einziehen, zu welcher Stunde man die Strafe vollstrecken und wer in welcher Reihenfolge hinaus zur Richtstätte mitreiten solle – all das hatte Serafina sich erspart und war mit mühsam unterdrücktem Schluchzen davongelaufen.
«Was für einen Sinn hat ein solcher Rechtstag überhaupt», brach es jetzt aus ihr heraus, «wenn ohnehin alles längst feststeht? Wenn eine Handvoll Ratsherren im Geheimen den Fall ganz unter sich entscheiden dürfen? Und dabei denjenigen, den sie für schuldig halten, nach Willkür und Belieben quälen, bis er gesteht? Da geht es doch gar nicht um Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit, sondern einzig darum, möglichst schnell zu einem Geständnis zu kommen.» Sie holte tief Luft. «Kein Mensch stellt sich dabei die Frage, wie sich ein womöglich Unschuldiger vor der Todesstrafe bewahren lässt.»
Eine Zeitlang blieb es so still im Refektorium, dass man hätte eine Nadel auf den Boden fallen hören können. Dann ergriff die Meisterin das Wort, und es fiel ihr sichtlich schwer, besonnen zu bleiben.
«So ist es nun mal Brauch seit Urzeiten, in Freiburg wie anderswo. Doch selbst am endlichen Rechtstag, wenn der Vierundzwanziger vor dem Münster sein Urteil fällt, ist noch nicht alles verloren. Das Gericht kann dann immer noch nach Gnade und Barmherzigkeit richten und das Urteil in Milde umwandeln, wenn genügend Gnadenbitten eingereicht wurden. Und so ganz erfolglos war unser Gang durch die Stadt ja nicht. Immerhin haben wir einige einflussreiche Bürger zum Nachdenken gebracht, wie etwa den Kaufherrn Pfefferkorn.»
«Was, den Pfefferkorn?», entfuhr es Heiltrud und Serafina gleichzeitig.
Jetzt lächelte Catharina wieder. «Ja, ebenso wie den Guardian der Barfüßermönche und den Medicus Adalbert Achaz. Sogar unseren städtischen Bettelvogt haben wir erweichen können. Damit möchte ich unsere morgendliche Versammlung beenden.»
Heiltrud erhob sich: «So lasst uns denn, bevor wir an die Arbeit gehen, für Barnabas eine Andacht halten und die Heilige Mutter Maria voll der Gnaden um Fürbitte anrufen.»
Keine halbe Stunde nach der Andacht klopfte Serafina an Catharinas Tür.
«Herein!»
Als sie eintrat, stand ihre
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