Das Aschenkreuz
dem weichen Herzen?
Sie musste unbedingt zu Barnabas in den Turm und herausfinden, ob er nicht doch etwas Wichtiges gesehen hatte.
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Kapitel 16
D ie nächsten beiden Tage waren die Frauen, soweit es ihr Tagwerk erlaubte, damit beschäftigt, für Barnabas nach Gnadenbittern vor Gericht zu suchen. Catharina mit der ängstlichen Mette an ihrer Seite klapperte die Klöster ab, an Adelheid und Grethe lag es, einzelne Bürger anzusprechen, und Heiltrud und Serafina suchten die Schwesternsammlungen und Regelhäuser auf. Acht Häuser dieser Art gab es in Freiburg, und die lagen kreuz und quer über die Stadt verstreut.
Wäre da nicht ihre große Sorge um Barnabas, hätte Serafina diese Streifzüge durch die Stadt ganz und gar genossen. Zumal der Himmel hoch und in blitzblankem Blau stand und der Höllentäler, ein erfrischender Wind aus den Bergen, die Sommerhitze erträglicher machte. Die Menschen zog es aus dem Dunkel ihrer Häuser und Werkstätten nach draußen, sie verrichteten ihre Arbeit auf der Gasse, vor den weit geöffneten Läden und Toren, um miteinander zu schwatzen, zu scherzen oder lautstark zu streiten. Wie Serafina schnell heraushören konnte, drehten sich ihre Gespräche fast alle um dieselbe Frage: Wie und warum waren der junge Pfefferkorn und Bruder Rochus zu Tode gekommen? Nicht wenige wollten von einem Fluch nichts mehr wissen, sondern hielten vielmehr den eingesperrten Bettelzwerg für einen zweifachen Mörder, der besser heut als morgen aufs Rad geflochten gehöre!
Wie immer stakste Heiltrud einsilbig neben ihr her, in ihrem eigentümlich abgehackten Gang, wenn sie nicht gerade innehielt, um ein stilles Gebet zu sprechen. Für diesmal war das Serafina gerade recht. So konnte sie ungestört ihren Gedanken nachhängen. Seit jenem Morgen vor der Stadt grübelte sie nämlich unablässig darüber nach, an was sie der Anblick der verstümmelten Leiche erinnerte. Sie hatte ein Bild im Kopf, brachte aber keine Erklärung dafür zustande. Auch der aufgeknüpfte Hannes passte in dieses Bild. Wo aber hatte sie so etwas Ähnliches schon einmal gesehen?
Allzu viel kam bei ihren Bittgängen leider nicht heraus. Lediglich bei den Schwestern im Regelhaus der Kötzin und der Thurnerin stießen Serafina und Heiltrud auf offene Ohren. Blieb nur zu hoffen, dass ihre Gefährtinnen mehr Erfolg hatten. Ein Lichtblick war indessen, dass sich die weitere Untersuchung des Falles verzögerte, da die Bluttat auf der Gemarkung der Oberen Würi geschehen war. Zwar gehörte die kleine Ansiedlung am Dreisamufer ebenso wie die Untere Würi und Adelhausen zu Freiburg, doch hatten die Dörfer ihr eigenes Gericht. Kaum hatte man Barnabas gefänglich eingelegt, war denn auch der Vogt der Würi in der Freiburger Kanzlei vorstellig geworden, um mit allem Nachdruck die Herausgabe des Gefangenen zu fordern: Man wolle mit den eigenen Leuten über den Frevler Gericht halten und dies keinesfalls der Stadt überlassen. Schließlich sei das ohne Zweifel
ihr
Mord und der vermeintliche Täter auf
ihrer
Gemarkung wohnhaft. So eilten nun die jeweiligen Gerichtsboten mehrmals am Tag hin und her, und eine Einigung war nicht in Sicht.
Als sie am Nachmittag des zweiten Tages als Letztes das Haus der Willigen Armen Brüder in der ärmlichen Neuburgvorstadt besuchten, versprach ihnen der dortige Meister, in dieser Angelegenheit noch am selben Tag in der Ratskanzlei vorzusprechen.
«Glaubt mir, der Schreck über die Nachricht von Barnabas’ Verhaftung ist mir gehörig in die Knochen gefahren.» Bruder Eberli blickte sie bekümmert an. «Ich kenne den kleinen Kerl schon, da ist er auf Kinderfüßen durch die Gegend getappt. Damals hat er noch alle zum Lachen gebracht. Seiner armen Mutter – Gott habe sie selig – habe ich auf dem Sterbebett versprochen, immer ein Auge auf ihn zu halten.»
Um zu den Brüdern in die Neuburg zu gelangen, musste man das Christoffelstor mit seinem vorgelagerten Zwinger passieren, und Serafina hatte es schier das Herz zerrissen, als sie an den Buckelquadersteinen des klotzigen Turms aufgesehen hatte. Irgendwo dort oben, hinter einer der winzigen Luken, lag Barnabas im Stroh. War da nicht sogar ein unterdrücktes Wimmern zu hören? Sie hatte sich zwingen müssen, den Turmwart, eben jenen pockennarbigen Mann von vor zwei Tagen, freundlich zu grüßen. Zusammen mit dem Torwächter hatte er am Mauerwerk gelehnt und sie beide hämisch angegrinst. Auf dem Rückweg dann stellte er sich ihnen in den
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