Das Aschenkreuz
Menschen unterwegs. Gleich Montagmorgen bei Sonnenaufgang, denke ich, wäre die beste Zeit, um halbwegs unbemerkt in den Turm zu kommen.» Sie schüttelte den Kopf. «Du glaubst gar nicht, wie unwohl mir bei dieser Sache ist. Und jetzt lass uns noch beim Apotheker vorbeigehen. Unsere Vorräte an Salben sind fast aufgebraucht.»
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Kapitel 19
K eine Stunde später bogen sie von der Sattelgasse her in ihr dunkles, enges Gässchen ein.
«Was ist das denn?» Catharina schob sich das Wolltuch aus dem Gesicht und kniff die Augen zusammen.
Vor ihrem Tor drängten sich ein gutes Dutzend Männer im Nieselregen, zumeist Handwerker aus ihrer Gasse, und schwatzten aufgeregt durcheinander.
«Unglaublich! – Was für ein Schelmenstück! – Wer weiß, vielleicht ist ja was dran?», konnte Serafina heraushören.
Als sie näher kamen, erkannte sie, was die Aufmerksamkeit der Leute so erregte. Wie vom Blitz getroffen blieb Serafina stehen: Auf der Toreinfahrt, gleich unter dem in Stein gehauenem Kreuz, hatte jemand mit schwarzer Rußfarbe eine Reihe von Buchstaben geschmiert, die in der Feuchtigkeit zu zerrinnen begannen. Obgleich der letzte Buchstabe nicht erkennbar war, stand ihr das Wort groß und deutlich vor Augen: Hurenhaus!
Sie holte tief Luft, machte auf dem Absatz kehrt und lief los. Was für ein Rabenaas!, fluchte es in ihr. Das wird der Kerl mir büßen!
Sie hörte noch, wie Catharina ihr etwas hinterherrief, sah aus dem Augenwinkel Grethe mit Eimer und Bürste bewaffnet aus dem Tor treten, dann hatte sie auch schon das Brunnengässlein hinter sich gelassen. Erschrocken sprangen die Menschen beiseite, während sie mit wehendem Umhang und als ob der Leibhaftige hinter ihr her sei quer über den regennassen Platz Bei den Barfüßern rannte. Vor dem Haus Zum Pilger blieb sie schwer atmend stehen und rammte mit voller Wucht den Türklopfer gegen den Beschlag.
Plötzlich spürte sie, wie ihr jemand gegen die Schulter tippte.
«Ihr wollt zu mir, Schwester Serafina?»
«Achaz!» Wütend funkelte sie ihn an. «Du Schuft, du abgefeimter Ränkeschmied …»
«Vorsicht!» Er legte ihr die Hand auf den Mund, während er mit der anderen die Tür aufsperrte. «Wollt Ihr, dass alle Welt Euch hört? Auf Ehrverletzung steht der Pranger, das müsstet Ihr wissen!»
«Das sagt gradwegs der Richtige.
Ihr
gehört an den Pranger gestellt.» Sie schlug seine Hand weg, ließ sich aber dann doch von ihm in die Diele und von dort in die Wohnstube drängen. Sie wartete noch, bis die Tür hinter ihr zuschlug, dann begann sie erneut:
«Ist das jetzt die Rache dafür, dass ich Euch ‹feige› genannt habe? Dass ich Euch Euer Versagen als Stadtarzt vorgeworfen habe? Ja, so seid ihr allesamt, ihr Mannsbilder. Die Wahrheit könnt ihr nicht vertragen, und greift man euch mit
einem
Stock an, haut ihr mit dreien zurück.»
«Was redet Ihr da …»
«Ihr verachtet mich, ich hab’s geahnt. Ihr verachtet mich, weil ich einst eine Hübschlerin war. Ihr gehört zu denen, die sich zu fein sind, ins Frauenhaus zu gehen, nicht wahr?»
«Ich verachte Euch nicht, ganz und gar …»
Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. «Oder ist es genau andersherum? Drückt Ihr Euch womöglich lieber in dunklen Scheunen und dreckigen Verschlägen mit billigen Schlupfhuren herum?»
«Serafina! Hört auf!»
Sein Mund zog sich gequält zusammen, in seinem Blick lag eine Mischung aus Bestürzung und Traurigkeit.
«Ja, Ihr habt recht, Serafina. Ich war nie ein Mann, den es zu den Hübschlerinnen zieht, denn ich hatte einst eine ganz wunderbare Ehegefährtin an meiner Seite. Und ein Hurenhaus hab ich im Leben überhaupt nur ein einziges Mal aufgesucht, und das war, nachdem …» Er unterbrach sich. «Ach, was geht Euch das an. Aber eines sollt Ihr doch noch wissen: Es hat mich in der Tat verletzt, von Euch ‹feige› genannt zu werden. Gerade von Euch.»
Er trat auf sie zu. Hastig wich sie zurück und stieß dabei heftig gegen den Tisch. Etwas fiel mit leisem Klirren zu Boden und zerbrach. Es war einer der beiden Glaskolben, der eben noch dort gestanden hatte.
Ohne darauf zu achten, hielt er sie beim Arm fest.
«Was um aller Welt ist geschehen, dass Ihr hierher stürmt wie von einer Wespe gestochen?»
Ihre Wut war plötzlich Verunsicherung gewichen.
«Dann wart Ihr das gar nicht?»
«Was?»
«Diese Wandschmiererei – auf dem Tor zu unserem Haus.»
Er schüttelte nur stumm den Kopf. Noch immer hielt er sie fest und sah ihr tief in
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