Das Aschenkreuz
die Augen. Sein Gesicht war jetzt dicht an ihrem. Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen. Dann ließ er sie los.
«Jemand hat ‹Hurenhaus› übers Tor geschrieben», sagte sie mit heiserer Stimme.
«Und Ihr habt allen Ernstes geglaubt, ich sei das gewesen?»
«Ja», flüsterte sie, «aus Rache.»
Jetzt wirkte er noch betroffener als zuvor. Kleinlaut sah sie zu Boden. «Es tut mir leid. Ich dachte, das könnt nur Ihr gewesen sein, nach allem, was ich Euch an den Kopf geworfen habe. Und nach allem, wie auch Ihr Euch verhalten habt. Vor allem aber seid Ihr der Einzige, der um meine Vergangenheit weiß.»
Da er weiterhin schwieg, bückte sie sich, um die Glasscherben aufzuklauben.
«Nein, lasst das bitte. Ihr könntet Euch schneiden. Ich mach das später weg.»
Sie richtete sich wieder auf, und Achaz fragte leise: «Glaubt Ihr mir jetzt also, dass ich das nicht getan habe?»
«Ja.» Sie wich seinem Blick aus.
«Ach Serafina, ich kann’s Euch ja nicht mal verdenken.» Er sah aus dem halboffenen Fenster. «Hab ich mich doch selbst einige Male benommen wie der dümmste Tölpel. Glaubt mir, es ist sonst wirklich nicht meine Art …» Er druckste herum. «… ich meine, dass ich … dass ich Euch so einfach …»
«Dass Ihr gestern beim Elephanten die Straßenseite gewechselt habt?»
Verdutzt sah er sie an. Dann antwortete er hastig: «Ja, genau. Ich wollt Euch damit nicht kränken. Aber Ihr müsst wissen, gegenüber dem Wirtshaus stand Ratsherr Nidank, und
der
brauchte uns wirklich nicht zusammen zu sehen, zumal er weder auf Euch noch auf mich gut zu sprechen ist.»
Sie spürte, dass es nicht das war, was er ihr eigentlich hatte sagen wollen. Dass es nur eine Ausflucht war. Dennoch wollte sie nicht weiter nachbohren, ahnte sie doch, dass er den Kuss zwischen ihnen meinte, jene flüchtige Zärtlichkeit an ihrem letzten Abend in Konstanz. Plötzlich machte sie die Erinnerung daran verlegen wie ein junges Mädchen.
«Dass
ich
dem hohen Herrn ein Dorn im Auge bin», sagte sie mit rauer Stimme, «weiß ich inzwischen auch. Aber was habt Ihr noch mit ihm zu schaffen?»
«Er hat mich noch einmal aufgesucht und mir ausdrücklich nahegelegt, dass die Angelegenheit Hannes Pfefferkorn erledigt sei – sowohl für den Rat der Stadt als auch für die Familie des Toten. Woraufhin ich ihm – ein wenig zornig zugegebenermaßen – sagte, dass wenn ich meiner Aufgabe als Stadtarzt nicht nachkommen könne, ich mir überlegen müsse, nach meiner Probezeit Freiburg zu verlassen.» Er scharrte mit der Schuhspitze über den Boden. «Womöglich wäre das ohnehin das Beste.»
Sie tat, als hätte sie den letzten Satz überhört. «Wann hat Nidank Euch das gesagt? Vor oder nach dem Mord an Pater Rochus?»
«Zwei Tage davor.»
Sie stieß ein verächtliches Lachen aus. «Ich verwette meinen Schleier, dass Nidank demnächst bei Euch aufkreuzen wird, um das Gegenteil zu verlangen. Nämlich den armen Hannes als Mordopfer wieder auszugraben. Barnabas soll nämlich nicht nur den Mönch, sondern auch den Jungen umgebracht haben.»
«Ich weiß. Im Übrigen habe ich, gleich nach meiner Rückkehr aus Basel, beim Rat darauf gedrungen, mir den Leichnam des Mönches anzusehen. Aber ich kam zu spät, er war schon bestattet.»
«Das bedeutet also, man wird nie herausfinden, ob Pater Rochus am frühen Morgen gemeuchelt wurde oder bereits in der Nacht oder am Tag zuvor.»
«So ist es. Wobei ich das nach so vielen Tagen wahrscheinlich ohnehin nicht mehr hätte feststellen können.»
Das hatte sie befürchtet. Plötzlich stutzte sie. «Was habt Ihr eigentlich in Basel gemacht? Ihr wollt doch wohl nicht zurück in die Dienste des dortigen Bischofs?»
«Um Himmels willen, nicht nach dieser unseligen Sache in Konstanz.» Er hielt betreten inne.
Fast fühlte sich Serafina ertappt, dass sie Achaz niemals gefragt hatte, ob er ihretwegen damals in Schwierigkeiten geraten war und deshalb Konstanz verlassen hatte. Und warum es ihn ausgerechnet nach Freiburg verschlagen hatte. Doch sie wagte nicht, an dieser entsetzlichen Geschichte mit dem toten Leibwächter des Bischofs auch nur zu rühren.
«Nein», fuhr er fort, «ich war bei seinem Schwager, dem Grafen von Hohenstein, einem Mann, den ich sehr schätze. Um vorzufühlen, ob er mich als Leibarzt brauchen könnte, falls man hier in Freiburg meiner Dienste überdrüssig wird.»
Ohne darauf einzugehen, sagte sie: «Es tut mir leid wegen des Glaskolbens. Ich weiß, so etwas kostet ein kleines
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