Das Aschenkreuz
eines Unsinnigen wirklich vor sich geht. Vielleicht hat er sich ja bedroht gesehen? Vielleicht hat ja auch Satan seine Spießgesellen in ihn fahren lassen? Wer von uns weiß das schon. Für das Gericht ist er allein deshalb schon verdächtig, weil er beide Male am Ort des Grauens war. Unter den Ratsherren ist man sich inzwischen so gut wie sicher, dass er nicht nur unseren Mitbruder, sondern auch diesen armen Ministranten gemeuchelt hat.»
Also doch. Serafina biss sich auf die Lippen. Jetzt plötzlich galt Hannes’ Tod nicht mehr als Selbstmord. Und sie selbst hatte womöglich den Anstoß dazu gegeben, als sie die beiden Ratsherren auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Leichnamen hingewiesen hatte. Dass dadurch Barnabas noch schlimmer in Verdacht geriet, war das Letzte, was sie bezweckt hatte.
Für Walburga Wagnerin, Pfefferkorns Frau, indessen mochte diese Wende des Schicksals eine unendliche Erleichterung sein, erst recht aber für den wahren Mörder, nach dem nun kein Mensch mehr suchen würde. Und falls dieser Mörder womöglich Sigmund Nidank hieß, würde es ihm als Heimlicher Rat ein Leichtes sein, dem armen Barnabas die Taten anzuhängen.
«Heißt das, Ihr schließt Euch der Meinung der Ratsherren an?», setzte Mutter Catharina nach.
«Das habe ich so nicht gesagt.» Bruder Matthäus rieb sich nachdenklich die Stirn. «Um ehrlich zu sein: Ich kann es mir nicht vorstellen, wie ein solch kleiner Mensch zwei ausgewachsene, wenn auch nicht allzu kräftige Männer derart zuzurichten vermag. Da müsste schon eine rasende Furie in ihn gefahren sein. Andererseits hat es das alles schon gegeben.»
«Da Ihr nicht sicher seid, könnte Barnabas in Euren Augen ebenso gut unschuldig sein. Ist es nicht so?»
«Ganz recht, Mutter Catharina», stimmte er nach einem kurzen Zögern zu.
«Nun, dann hätte ich – dann hätten wir alle vom Haus Zum Christoffel einen Herzenswunsch. Sprecht Euch beim Gericht für Barnabas aus, bittet um Gnade und Milde.»
«Ihr verlangt viel von mir, schließlich ist Bruder Rochus eines der Opfer.»
«Ich weiß», erwiderte die Meisterin leise und sah ihm unbeirrbar in die Augen.
Der Prior begann zu lächeln, und sein Gesicht wirkte um etliche Jahre jünger.
«Ich werde darüber nachdenken. Zumal ich, wie Ihr wisst, Eure Menschenkenntnis schon immer über alles geschätzt habe.»
«Danke, Bruder Matthäus. Und ich flehe Euch an, lasst Euch nicht zu viel Zeit damit.»
«Keine Sorge, Mutter Catharina.» Der Prior legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. «Ich weiß, wie wichtig jede einzelne Stimme im Falle der Unschuld wäre.»
Die Meisterin nickte. «So mag Gott seine schützende Hand über Barnabas halten. – Aber da ist noch etwas anderes. Schwester Serafina ist erst nach Ostern hierher nach Freiburg gekommen und möchte mehr über das heilige Blutwunder wissen.»
«Das freut mich. – Ach, seht her. Das trifft sich ja gut.»
Bruder Matthäus deutete auf zwei Mönche, die ihnen in diesem Moment mit in den Ärmeln verschränkten Händen entgegenschritten. Der eine war kräftig und nicht allzu groß, der andere umso hochgewachsener und dünner.
«Dort kommt Bruder Blasius, unser Bursar. Er als Kaplan der Wallfahrtskapelle kann Euch über alles Auskunft geben.» Er winkte die beiden Männer heran und wollte sie einander vorstellen. Doch der Bursar kam ihm zuvor.
«Wir kennen Schwester Serafina bereits.» Er nickte den beiden Frauen erfreut zu.
«Auch gut, Bruder Blasius. Sie möchte etwas über die Gnade erfahren, die unserem Cyprian zuteil geworden ist. Und wer, wenn nicht du, könnte ihr besser darüber Auskunft geben. – Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss zur Pforte. Eine Lieferung Wein wird gleich eintreffen.»
Serafina spürte, wie Blasius sie wohlwollend betrachtete. Sein Begleiter, der junge Mönch Immanuel, wollte schon weitergehen, doch der Bursar hielt ihn am Ärmel fest. Dann setzte er ein gutmütiges Lächeln auf und wandte sich Serafina zu.
«So fragt mich denn frei heraus, was Ihr wissen mögt. Wie ich gehört habe, seid Ihr ja fremd in der Stadt und noch nicht allzu lange bei den freundlichen Armen Schwestern. Nun ja, eine Frau wie Ihr …» Immer noch lächelnd, sah er ihr offen ins Gesicht. «… seid sicherlich mitten im Leben gestanden, bevor Ihr Euch für die Vita apostolica entschieden habt.»
Serafina hielt seinem Blick stand. Hatte er etwa auch Erkundigungen über sie eingezogen? Zugleich musste sie innerlich fast lachen. Dieser
Weitere Kostenlose Bücher