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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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ist es doch?«
    Fake machte eine Vierteldrehung und blieb mit dem Rücken zu Anton stehen: leicht vorgebeugt und ohne sich zu bewegen.
    »Willst du damit behaupten, daß es die Schuld meines Vaters ist, daß deine Familie ermordet wurde?«
    Anton begriff, daß er nun auf jedes Wort achten mußte. Über dem Kamin hing ein hoher Spiegel mit Zierrahmen, den er für zehn Gulden auf dem Trödelmarkt gekauft hatte, um sein Zimmer etwas größer wirken zu lassen; in dem erblindeten Glas sah er, daß Fake die Augen geschlossen hatte.
    »Warum«, fragte Anton, »kannst du deinen Vater nicht lieben, ohne die Sache zu rechtfertigen? Einen Heiligen zu lieben ist keine Kunst. Das ist wie die Liebe zu den Tieren. Warum sagst du nicht einfach: Mein Vater stand absolut auf der falschen Seite, aber er war mein Vater, und ich liebe ihn.«
    »Aber er stand verdammt noch mal nicht auf der falschen Seite! Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie du es meinst.«
    »Aber wenn du jetzt sicher wüßtest«, sagte Anton zu dem Rücken, »daß er schreckliche Dinge getan hat… was weiß ich… denk dir selbst was aus… hättest du ihn dann nicht lieb?«
    Fake drehte sich um, sah ihn kurz an und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Falsch… falsch…«, sagte er gleich darauf. »Ja, jetzt nennt man das so, aber mittlerweile denken die Leute über den Kommunismus genauso wie er. Hör dir das da draußen doch mal an«, sagte er. »Wo ist denn da der Unterschied zur Ostfront? Und das mit den Juden, was mit denen passiert ist, das wußte er überhaupt nicht. Das hat er nie gewußt. Das kannst du ihm nicht vorwerfen, was die Deutschen mit denen gemacht haben. Er war bei der Polizei, und er hat einfach seine Pflicht getan, wie er es gelernt hat. Vor dem Krieg hat er auch Leute aus ihren Häusern geholt, und da wußte er auch nicht, was mit ihnen passiert. Natürlich war er ein Faschist, aber ein guter, aus Überzeugung. Es sollte in Holland anders werden, es durfte nie wieder so werden wie früher, wie unter Colijn, als er auf Arbeiter schießen mußte. Er war kein Mitläufer wie die meisten Holländer. Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, was meinst du, wieviele Holländer dann heute noch gegen ihn wären? Daß ich nicht lache, Mann. Erst als er anfing zu verlieren, waren sie plötzlich alle im Widerstand, diese Maulhelden.«
    Im Ofen war zuviel Öl, er fing an dumpf und rhythmisch zu bullern. Fake warf einen kurzen Spezialistenblick darauf und sagte: »Das gibt gleich Theater.« Aber er ließ sich nicht von seinem Thema ablenken. Mit dem Glas in beiden Händen setzte er sich auf die Fensterbank und fragte:
    »Weißt du, wann mein Vater Mitglied der NSB geworden ist? Im September vierundvierzig, nach dem ›Tollen Dienstag‹, als die Chose verloren war und all die Pseudofaschisten stiften gingen, nach Deutschland, oder plötzlich auch schon immer im Widerstand gewesen waren. Da mußte ein gutes Beispiel gegeben werden, fand er; das hat uns meine Mutter oft erzählt. Und für diese Überzeugung haben sie ihn abgeknallt, für sonst nichts, und das hat deine Familie auch das Leben gekostet. Wenn sie das nicht getan hätten, würden dein Vater und deine Mutter noch leben. Mein Vater hätte vielleicht ein paar Jahre im Knast gesessen, aber jetzt wäre er schon längst wieder bei der Polizei.«
    Er stand auf, ging zum Flügel und schlug in der Mitte der Klaviatur ein paar Tasten an. Die Töne vermischten sich mit dem Stampfen des Ofens zu einem Geräusch, das Anton an Strawinsky denken ließ. Jedes Wort von Fake hatte seine Kopfschmerzen verstärkt. Wie konnte sich jemand so in Lügen verstricken? Vielleicht durch die Liebe – allen Widerständen zum Trotz.
    »Wenn man dich so hört«, sagte er, »könnte man glauben, daß du den Namen deines Vaters auch auf dem Mahnmal stehen haben willst.«
    »Auf welchem Mahnmal?«
    »Bei uns auf der Uferstraße.«
    »Da steht ein Mahnmal?«
    »Ich habe es auch erst später erfahren. Es stehen die Namen meiner Eltern drauf und die der neunundzwanzig Geiseln – hätte auch Fake Ploeg draufstehen müssen?«
    Fake schaute ihn an und wollte etwas sagen, aber plötzlich schluchzte er. Er stieß die Schluchzer aus, als stammten sie von einem anderen, der ihn nur als Werkzeug benutzte.
    »Verdammt…«, sagte er, aber Anton wußte nicht, ob sich das auf seine Bemerkung oder auf Fakes Schluchzen bezog. »Als euer Haus in Flammen aufging, bekamen wir die Nachricht, daß unser Vater tot war. Hast du daran auch nur ein Mal

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