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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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hierher.«
    Sie wechselten die Plätze. Fake starrte ihn an, als könnte er ihn nun besser sehen.
    »Weißt du, daß du dich absolut nicht verändert hast?«
    »Das habe ich schon öfter gehört.«
    »Ich sah sofort, daß du es warst.«
    »Ich brauchte ein Weilchen«, sagte Anton. »So oft habe ich deinen Vater ja nicht gesehen.«
    Fake holte ein Päckchen Tabak aus der Brusttasche und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Als Anton ein Päckchen Yellow Dry hochhielt, schüttelte Fake den Kopf. Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen, aber es war tatsächlich so: Fake sah seinem Vater verblüffend ähnlich, er war nur jünger und schlanker, aber irgendwie auch schlaffer. Abgesehen davon sah er nicht ein, warum nun ausgerechnet er besonders pietätvoll sein sollte.
    Er wünschte sich, daß das Telefon klingelte, so daß er, egal zu wem, sagen könnte, ja, wirklich ein Notfall, ich komme sofort ins Krankenhaus. Es war kalt und feucht im Zimmer.
    »Ich mache mal eben den Ofen an.«
    Er stand auf und öffnete den Ölhahn. Fake klebte seine Zigarette zu, zwackte den an den Enden heraushängenden Tabak ab und gab ihn zurück ins Päckchen, das er zwischen Ring- und kleinem Finger hielt.
    »Was studierst du?« fragte er.
    »Medizin.«
    »Ich arbeite in einer Werkstatt für Haushaltsgeräte«, sagte Fake, bevor Anton danach fragen konnte. »Reparaturen und so.«
    Anton wartete, bis genug Öl in den Ofen gelaufen war.
    »In Haarlem?«
    »Haarlem…« Fake sah ihn an, als zweifelte er an seinem Verstand. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß wir immer noch in Haarlem wohnen?«
    »Was weiß ich?«
    »Kannst dir doch denken, daß wir nach dem Krieg schnellstens verschwinden mußten.«
    »Ja, kann schon sein«, sagte Anton. Er hob den Deckel vom Ofen und ließ ein brennendes Streichholz hineinfallen.
    »Wo wohnst du jetzt?«
    »In Den Helder.«
    Das Streichholz ging aus, und er entzündete ein zweites. Er ließ es in den Ofen fallen und drehte sich um.
    »Bist du extra nach Amsterdam gekommen, um mit Steinen zu werfen?«
    »Ja«, sagte Fake und schaute ihn an. »Verrückt, was?«
    Anton legte den Deckel auf den Ofen und setzte sich. Wenn er nun ohne Umschweife vorschlagen würde, dem Treffen ein Ende zu machen, würde Fake vermutlich sofort einwilligen, die Gewißheit jedoch machte ihn auf einmal stur – als wollte er Fake spüren lassen, daß er ihn so schnell nicht loswurde.
    »Lebt deine Mutter noch?« fragte er.
    Fake nickte.
    »Ja«, sagte er ein paar Sekunden später.
    Er sagte es wie ein Geständnis, als hätte Anton gefragt: Lebt deine Mutter noch? So hatte es Anton nicht gemeint, als er aber darüber nachdachte, sagte er sich, daß er es vielleicht doch so gemeint hatte.
    »In einer Werkstatt?« fragte er. »Du warst doch auf dem Gymnasium?«
    »Ja, ein halbes Jahr.«
    »Wie kommt das denn?«
    »Interessiert dich das wirklich?« fragte Fake, während er mit dem Streichholzkopf ein Tabakfädchen in die Zigarette stopfte.
    »Sonst hätte ich nicht gefragt.«
    »Nach dem Krieg wurde meine Mutter verhaftet und in ein Lager gesteckt. Ich kam auf ein katholisches Internat, das zur Bischöflichen Gewerbeschule gehörte. Da mußte ich hin, obwohl ich gar nicht katholisch war.«
    »Was hat deine Mutter denn verbrochen?«
    »Frag das mal die Herren vom Sondergericht. Ich glaube, sie hatten sie im Verdacht, mit meinem Vater verheiratet gewesen zu sein.«
    An dem Ton, in dem er es sagte, hörte Anton, daß Fake es schon öfter gesagt hatte, und irgendwie hörte es sich an, als hätte er es sich nicht selbst ausgedacht.
    »Und dann?«
    »Nach einem dreiviertel Jahr wurde sie freigelassen, aber da wohnten schon andere Leute in unserem Haus. Wir bekamen was in Den Helder angeboten, wo uns niemand kannte. Dort kam ich auf die Berufsfachschule.«
    »Und warum nicht wieder aufs Gymnasium?«
    »Du hast von Tuten und Blasen keine Ahnung«, sagte Fake mit einem Zug um den Mund, als müsse er sich wegen des Gestanks gleich die Nase zuhalten. »Was glaubst denn du? Meine Mutter mußte Putzfrau werden, um mich und meine Schwestern ernähren zu können. Eine mit Kopftuch und Einkaufstasche, die morgens um halb sieben auf der Straße ist und in der Tasche Bürsten und Scheuertücher und Waschmittel hat, denn die mußte sie selber mitbringen. Wenn sie zur Abendbrotzeit nach Hause kam, ging sie nur noch halb so schnell. Und jetzt liegt sie im Krankenhaus, wenn du es genau wissen willst, weil ihr das Wasser aus dem rechten Bein läuft.

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