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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Das ist ganz gelb, mit dunkelbraunen Flecken. Das linke ist ihr vor zwei Wochen abgenommen worden. So. Bist du jetzt zufrieden, Doktor?« Er leerte sein Glas, knallte es auf den Tisch und lehnte sich zurück. »Das ist der Unterschied, was? Wir sitzen zusammen in der Klasse, deine Eltern werden erschossen, und du studierst Medizin. Aber mein Vater wird umgelegt, und ich repariere Boiler.«
    »Aber deine Mutter lebt«, sagte Anton sofort. »Und deine Schwestern leben auch.« Er überlegte sich jedes Wort. »Außerdem gibt es doch wohl auch«, sagte er vorsichtig, »einen Unterschied zwischen dem Tod deines Vaters und dem meiner Eltern?«
    »Welchen Unterschied?« fragte Fake aggressiv.
    »Meine Eltern waren unschuldig.«
    »Mein Vater auch.«
    Er sagte es, ohne einen Augenblick zu zögern, und starrte Anton an. Anton schwieg verblüfft. Vielleicht glaubte Fake wirklich daran, vielleicht war er tatsächlich davon überzeugt.
    »Gut«, sagte Anton mit einer hilflosen Geste. »Gut. Ich weiß auch nur, was ich gehört habe, aber…«
    »Eben.«
    »… aber wenn du den Unterschied zwischen uns für eine Art soziale Ungerechtigkeit hältst, dann begreife ich dieses Ding nicht.« Mit dem Kopf deutete er auf den Stein, der wie eine absichtliche Beleidigung auf dem Flügel lag. »Dann müßtest doch gerade du Kommunist werden.«
    Bevor Fake antwortete, nahm er sein Glas und ließ den letzten Schluck in die Kehle laufen.
    »Der Kommunismus«, sagte er ruhig, aber mit einem fanatischen Unterton in der Stimme, »ist das Schlimmste von allem. Das siehst du ja nun in Budapest, wo der Freiheitsdrang eines ganzen Volkes in Blut ertränkt wird.«
    »Fake«, sagte Anton irritiert, »ich bin auch kein Kommunist, aber deswegen halte ich es noch nicht für nötig, die Zeitungsüberschriften auswendig zu lernen.«
    »Ja, der Herr Doktor kann sich natürlich besser ausdrücken. Nimm es mir bitte nicht übel, daß ich nicht so schlau bin wie du. Die Leute in Budapest kämpfen um ihr Leben. Ist das besser? Was meinst du, was die Politkommissare jetzt machen? Da ist eine Massenschlachtung im Gange, oder etwa nicht? Hast du Het Parool gelesen? Über die Greueltaten, die von den mongolischen Soldaten begangen werden?«
    »Von mongolischen Soldaten?« wiederholte Anton. »Was soll das heißen, Fake? Ist es jetzt wieder Zeit, die Mongolen zu vergasen?«
    »Nein, du Arschloch«, sagte Fake mit einem Blick, der deutlich machte, daß Anton auf der Hut sein mußte. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber das kann ich dir sagen: mein Vater hat, was die Kommunisten angeht, auf alle Fälle recht gehabt. Alles, was du jetzt hörst, hat er schon immer gesagt. Es sind nicht umsonst dieselben Scheißkommunisten gewesen, die ihn ermordet haben. Es ist dasselbe Pack, das du jetzt mit einem Helm auf dem Holzkopf hinter der Dachrinne herumlaufen siehst. Aber klar doch, du mußt sie unbedingt verteidigen. Man muß sich nur mal in die Situation hineinversetzen! Sie haben gewußt, daß es zu Repressalien kommen würde, und trotzdem legen sie ihn vor eurem Haus um. Es hat sie einen Dreck gekümmert, sonst hätten sie die Leiche ja versteckt. Und der Krieg war deswegen nicht eine Sekunde früher zu Ende.«
    Er stand auf und ging mit dem Glas zu dem Tisch mit dem Gaskocher, auf den Anton die angebrochene Bierflasche gestellt hatte. Als Anton sah, daß der Ofen immer noch nicht brannte, stand auch er auf, riß einen Streifen Papier von einer Zeitung ab und ließ ihn brennend auf das schwarzglänzende Öl fallen. Er schenkte sich ein Glas Wein ein, und weil Fake stehenblieb, setzte auch er sich nicht wieder hin. Von draußen waren wieder Geschrei und das Heulen der Sirenen zu hören.
    »Meine Familie«, sagte er, während er die freie Hand in den Nacken legte, »ist nicht von den Kommunisten ausgerottet worden, sondern von den Freunden deines Vaters.«
    »Und die Kommunisten wußten, daß es dazu kommen würde.«
    »Also sind sie schuld…«
    »Und ob! Wer denn sonst?«
    »Fake«, sagte Anton, »ich verstehe ja, daß du deinen Vater verteidigen willst. Schließlich war er dein Vater. Aber wenn dein Vater mein Vater gewesen wäre, wenn alles andersherum gewesen wäre, hättest du ihn dann auch verteidigt? Machen wir uns doch nichts vor. Dein Vater ist nicht zufällig von den Kommunisten ermordet worden, sie waren der Meinung, daß es sein mußte. Aber meine Familie ist willkürlich von den Faschisten umgebracht worden, und zu denen hat auch dein Vater gehört. So

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