Das Attentat
aus dem Krieg zu besuchen, von einem Club in St. James abholen. Als sie vor dem Clubhaus ankamen und ein Wiedersehen in Amsterdam verabredeten, kam ein General die Treppen herunter und stieg in ein wartendes Auto, am Steuer saß ein Chauffeur in Uniform.
Als Herr de Graaff sich eine Woche später bei ihrer ersten Begegnung in der Lounge des Hotels des Indes in Den Haag vorsichtig nach seiner Familie erkundigte, sagte Anton, daß sein Vater Justizbeamter beim Landgericht in Haarlem gewesen sei, die Eltern aber schon lange tot seien. Erst ein halbes Jahr später, in Athen, wo sein zukünftiger Schwiegervater Botschafter war, erzählte er ihm an einem schwülen Nachmittag seine Geschichte. De Graaff hörte aufmerksam zu, schwieg und starrte aus dem Schatten des Zimmers in den hellen, duftenden Garten, der erfüllt war vom Zirpen der Zikaden und vom Plätschern eines kleinen Springbrunnens. Auf der Terrasse, auf der Saskia und ihre Mutter saßen, klapperte ein Diener in weißer Jacke mit den Eiswürfeln. Zwischen den Zypressen und Pinien war in der Ferne die Akropolis zu sehen. Nach ein paar Minuten sagte de Graaff nur: »Auch das Gute hat in dieser Welt immer noch eine schlechte Seite. Aber es gibt immer noch auch die gute.«
Er hatte während des Krieges einem Verbindungsstab der Widerstandsorganisationen angehört, und in dieser Funktion hatte er in direkter Verbindung mit der Regierung in London gestanden. Auch er war wenig gesprächig, wenn es um diese Zeit ging; was Anton in Erfahrung gebracht hatte, hatte er von Saskia, die aber auch nur wenig von ihrem Vater wußte. Anton hatte kein Bedürfnis, alles zu wissen. Einiges hätte er vielleicht in den Verhör-Protokollen der Parlamentarischen Untersu chungskommission nachlesen können, aber er kümmerte sich nicht darum.
Ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung heirateten sie. Antons Onkel konnte die Hochzeit nicht mehr miterleben: ein dummer Verkehrsunfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Kurz nach der Hochzeit bekam Anton eine feste Anstellung, und mit der finanziellen Hilfe seines Schwiegervaters kauften sie sich ein halbes Haus in dem Viertel hinter dem Concertgebouw.
2
Während der Hitzewelle Anfang Juni 1966 mußte Saskia zur Beerdigung eines alten Freundes ihres Vaters, eines prominenten Journalisten, den auch sie seit dem Krieg kannte. Sie hatte Anton gefragt, ob er mitkommen wolle, und als ihm ein freier Tag bewilligt wurde, wollte er Sandra mitnehmen, ihr Kind, das mittlerweile vier Jahre alt war.
»Muß das wirklich sein, Ton?« fragte Saskia. »Der Tod ist nichts für Kinder.«
»Einen lächerlicheren Aphorismus habe ich selten gehört«, sagte er.
Das klang schärfer, als er beabsichtigt hatte. Er entschuldigte sich und gab ihr einen Kuß. Sie beschlossen, nach der Beerdigung an den Strand zu fahren.
Sein Schwiegervater, der genauso alt war wie das Jahrhundert, war gerade pensioniert worden und wohnte in einem Landhaus in Gelderland; er wollte mit dem Wagen kommen. Saskia rief ihn an und fragte, ob er sie nicht abholen wolle, dann könnten sie vorher noch zusammen Kaffee trinken. Aber er reagierte wie ein echter Provinzler: Er lasse sich in Amsterdam nicht mehr blicken, wo sie denn hindächten, ob er sich womöglich von einer Meute Provos überfallen lassen solle. Er lachte, als er das sagte, aber er kam nicht (obwohl er schon größeren Herausforderungen getrotzt hatte).
Die Beerdigung fand in einem Dorf nördlich von Amsterdam statt. Sie parkten ihren Wagen am Ortsrand und gingen, schwitzend in ihren dunklen Kleidern, zu der kleinen Kirche. Sandra war ganz in Weiß gekleidet und hatte deshalb keine Not mit der Sonne. Auf dem Dorfplatz herrschte ein großes Gedränge vornehmlich älterer Männer und Frauen, die sich alle kannten. Jeder begrüßte jeden, und zwar nicht niedergeschlagen und traurig, sondern lachend und oft mit einer ausgelassenen Umarmung. Es waren auffallend viele Fotografen gekommen. Aus einem großen schwarzen Cadillac stieg ein Minister, der in letzter Zeit im Zusammenhang mit den Krawallen in Amsterdam für Schlagzeilen gesorgt hatte. Auch er wurde mit Küssen und Schulterklopfen begrüßt.
»Das sind alles Leute, die gegen die Deutschen gekämpft haben«, sagte Anton zu seiner Tochter.
»Im Krieg«, sagte sie mit einem Gesicht, das deutlich machte, daß sie genau Bescheid wußte, und richtete mit einer resoluten Drehung den Kopf ihrer Puppe aus.
Mit einem anhaltenden Gefühl der Erregung musterte Anton die Anwesenden. Er
Weitere Kostenlose Bücher