Das Attentat
calvinistischen Hintern des Ministers herrührte. Scheinbar hatte der Minister flüchtig mitgehört.
»Das ist gut möglich«, sagte der.
»Und dann?«
»Dann nehme ich noch ein Schnäpschen.«
Er hob sein Glas Genever, wechselte einen Blick mit de Graaff und drehte sich um.
Plötzlich entstand eine kurze Stille am Tisch. Nur die beiden Männer, die links von Anton saßen, unterhielten sich leise weiter.
Und in dem Moment fing Anton diesen Satz auf:
»Ich bin mit dem Fahrrad an ihm vorbeigefahren und habe ihm erst in den Rücken geschossen und dann einmal in die Schulter und in den Bauch.«
3
Weit weg, im Tunnel der Vergangenheit, hallt der sechsfache Knall nach: erst einmal, dann zweimal, dann wieder zweimal, und dann noch einmal. Antons Mutter, die seinen Vater ansieht, sein Vater, der zu den Schiebetüren hinüberschaut, Peter, der den Schirm von der Karbidlampe nimmt…
Anton wandte sich dem Mann zu, neben dem er die ganze Zeit gesessen hatte – und bevor er wußte, was er tat, hatte er schon gefragt:
»Wurde dann auch noch ein viertes und ein fünftes Mal geschossen? Und dann noch ein sechstes?«
Mit zusammengekniffenen Augen schaute der andere ihn an.
»Was weißt du davon?«
»Geht es um Ploeg? Fake Ploeg, in Haarlem?«
Es vergingen ein paar Sekunden, bevor der andere zögernd fragte:
»Wer bist du? Wie alt bist du?«
»Ich habe dort gewohnt. Es war vor unserem Haus… das heißt…«
»Vor eurem…« Der andere stockte.
Er hatte sofort begriffen. Nur auf dem Operationstisch hatte Anton jemanden so schnell blaß werden sehen wie jetzt seinen Tischnachbarn. Er hatte das aufgedunsene, fleckig rote Gesicht eines Menschen, der zuviel trinkt; es wurde innerhalb weniger Sekunden bleich und fahl wie altes Elfenbein, als hätte jemand plötzlich die Belichtung verändert. Anton überfiel ein leichtes Zittern.
»Oh, oh«, sagte der Mann, der zwei Stühle weiter saß. »Vergaloppiert.«
Alle am Tisch schienen sofort zu merken, daß da etwas schiefgelaufen war. Einen Augenblick lang wurde es noch stiller – und dann war alles in heller Aufregung, einige redeten durcheinander, andere standen auf, de Graaff rief, Anton sei sein Schwiegersohn und wollte eingreifen, aber der Mann sagte, daß er das schon selbst klarstellen müßte. Und dann zu Anton, als wollte er sich mit ihm prügeln:
»Komm mit nach draußen.«
Er nahm seine Jacke von der Stuhllehne, griff nach Antons Hand und zog ihn wie ein Kind hinter sich her durch das Gedränge. Und so fühlte Anton sich auch: die warme Hand, die ihn mitnahm, und der Mann, der zwanzig Jahre älter war als er – ein Gefühl, das er nie bei seinem Onkel empfunden hatte, wenn der ihn bei der Hand nahm, sondern nur früher, als kleiner Junge bei seinem Vater. Weiter vorn in der Gaststätte wußte noch niemand, was vorgefallen war, und man machte ihnen lachend den Weg frei. In der Musikbox die Beatles:
It's been a hard day's night…
Draußen war es plötzlich still. Der Platz flimmerte in der Sonne. Hier und da standen Leute in kleinen Gruppen beieinander, aber Saskia und Sandra waren nirgendwo zu sehen.
»Komm«, sagte der Mann, nachdem er sich kurz umgeschaut hatte.
Sie überquerten den Platz und gingen durch das schmiedeeiserne Tor wieder auf den Friedhof. Rund um das offene Grab mit den Blumen standen jetzt viele Dorfbewohner und lasen die Inschriften auf Schleifen und Karten. Über die Wege und Gräber ringsum liefen die Hühner eines benachbarten Bauern. Vor einer Steinbank im Schatten einer Eiche blieb der Mann stehen und streckte die Hand aus.
»Cor Takes«, sagte er. »Und du heißt Steenwijk.«
»Anton Steenwijk.«
»Für die bin ich Gijs«, sagte er mit einer Kopfbewegung in Richtung der Gaststätte und setzte sich.
Anton setzte sich neben ihn. Er wollte das alles nicht, er hatte auch nichts sagen wollen, es war ihm wie in einem Reflex herausgerutscht, er hatte reagiert wie eine Sehne auf den Schlag des Reflexhammers. Takes holte ein Päckchen Zigaretten hervor, zog eine Zigarette halb heraus und hielt sie Anton hin. Der schüttelte den Kopf, wendete sich ihm zu und sagte:
»Hör zu. Laß uns aufstehen und nie mehr darauf zurückkommen. Es gibt nichts klarzustellen, wirklich nicht. Was geschehen ist, ist geschehen. Mich bedrückt nichts, glaub mir, es ist über zwanzig Jahre her. Ich habe Frau und Kind und eine gute Stellung, alles in Ordnung. Ich hätte nur meinen Mund halten sollen.«
Takes steckte sich eine Zigarette an, inhalierte tief
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