Das Attentat
Pistole gekommen?«
Anton sah ihn überrascht an.
»Woher weißt du, daß er eine Pistole hatte?«
»Ja, woher wohl? Weil ich mich informiert habe, nach dem Krieg.«
»Es war die Pistole von Ploeg.«
»Was für ein lehrreicher Nachmittag«, sagte Takes langsam. Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch durch einen Mundwinkel heraus. »Und wer wohnte ein Haus weiter?«
»Zwei alte Leute.«
Die zitternde Hand, die auf ihn zukam. Saure Gurken sind wie Krokodile. Das hatte er einmal zu Sandra gesagt, aber sie hatte nicht gelacht, sie war auch dieser Ansicht.
»Ja«, sagte Takes, »wenn er ihn zurückgelegt hätte, wäre es natürlich zum Streit gekommen.« Und sofort darauf: »Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was für eine Stümperei. Große Esel, alle, das ist es, was ihr gewesen seid, alle. Die Leiche da hin und her zu schleppen…«
»Was hätten wir denn sonst tun sollen?«
»Reinholen natürlich«, brummte Takes. »Ihr hättet ihn so schnell wie möglich ins Haus holen müssen.«
Perplex schaute Anton ihn an. Natürlich! Das Ei des Kolumbus! Aber bevor er etwas sagen konnte, fuhr Takes fort:
»Überleg doch mal. Sie hatten irgendwo Schüsse gehört, irgendwo in der Gegend, aber sie wußten nicht, wo. Was hätten sie machen sollen, wenn sie niemand und nichts auf der Straße gefunden hätten? Sie hätten doch nicht sofort an ein Attentat denken müssen? Eher an einen Gendarmen, der auf jemanden geschossen hat, oder etwas in dieser Richtung. Oder war einer eurer Nachbarn bei der NSB und hätte euch verraten?«
»Nein. Aber was hätten wir mit der Leiche machen sollen?«
»Was weiß ich. Verstecken. Unter den Fußbodenbrettern, oder im Garten begraben. Oder noch besser: gleich aufessen. Gemeinsam mit den Nachbarn braten und aufessen. Es war doch im Hungerwinter? Kriegsverbrecher fallen nicht unter Kannibalismus.«
Jetzt war es Anton, der von einer Art Lachkrampf geschüttelt wurde. Sein Vater, der Justizbeamte, der einen Polizeikommissar brät und ißt. De gustibus non est disputandum.
»Oder denkst du womöglich, daß so etwas nie vorgekommen ist? Vergiß es. Alles ist passiert. Du kannst dir das Allerverrückteste ausdenken, es ist passiert, und sogar noch verrückter.«
Die Leute, die zum Grab gingen oder von dort kamen, schauten sie im Vorbeigehen an: zwei Männer auf einer Steinbank unter einem Baum. Der eine war jünger als der andere. Während die anderen schon lange wieder in der Kneipe saßen, trauerten die beiden noch um ihren verstorbenen Freund. Kramten Erinnerungen hervor: Weißt du noch, wie… Wenn die Leute an ihnen vorbeigingen, schwiegen sie verschämt.
»Du hast gut reden«, sagte Anton. »Du hast über nichts anderes als über diese Dinge nachgedacht, und meiner Meinung nach tust du es immer noch. Aber wir saßen zu Hause am Tisch und lasen und hörten plötzlich die Schüsse.«
»Auch dann hätte ich sofort daran gedacht.«
»Kann schon sein, aber dafür warst du ja auch Partisan. Mein Vater war Justizbeamter, der hat nie etwas getan, der hat nur protokolliert, was andere taten. Wir hätten übrigens auch keine Zeit mehr dafür gehabt. Obwohl…«, sagte er, während er plötzlich hochschaute, in die Blätter… »da schien sich erst noch jemand zu streiten…«
So hell wie es war, plötzlich sah er in tiefer Dunkelheit undeutliche Bewegungen, auf einem Gang, Geschrei, es sah so aus, als falle Peter in irgendwelche Zweige; etwas mit einem Schlüssel… Verschwunden wie der Fetzen eines Traumes, an den man sich am hellichten Tag kurz erinnert.
Er wurde von Takes abgelenkt, der mit dem Absatz vier senkrechte Linien in den Kies grub, so daß dort die schwarze Erde sichtbar wurde:
»Sag mal«, sagte er. »Da standen doch vier Häuser, stimmt's?«
»Ja.«
»Und ihr habt im zweiten von links gewohnt.«
»Du weißt noch sehr genau Bescheid.«
»Ab und zu gehe ich schon noch hin. Helden kehren immer zum Ort ihrer Heldentat zurück, das weiß jedes Kind. Obwohl… es könnte sein, daß ich der einzige bin, der das tut. Jedenfalls was eure Uferstraße angeht. Gut. Ich weiß nur, daß er hier lag, vor eurem Haus. Bei welchem Nachbarn lag er denn nun zuerst, bei diesem oder bei diesem?«
»Bei diesem«, sagte Anton und wies mit dem Schuh auf das zweite Haus von rechts.
Takes nickte und starrte auf die Striche.
»Tut mir leid, aber dann habe ich doch noch eine Frage. Warum hat der Seemann ihn dann bei euch hingelegt und nicht hierher, bei seinem anderen Nachbarn?«
Anton sah nun
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