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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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darauf antworte?«
    »Sicher.«
    »Das kann ich nicht. Das weiß ich nicht.«
    »Dann werde ich es dir sagen. Die Antwort ist: Nein. Wenn du sagst, deine Familie würde noch leben, wenn wir Ploeg nicht liquidiert hätten, dann ist das wahr. Das ist einfach wahr, mehr aber auch nicht. Wenn jemand sagt, deine Familie würde noch leben, wenn dein Vater seinerzeit ein anderes Haus in einer anderen Straße gemietet hätte, dann ist das auch wahr. Dann würde ich hier vielleicht mit jemand anderem sitzen. Es sei denn, es wäre in der anderen Straße passiert, denn dann hätte ja auch Ploeg womöglich woanders gewohnt. Aber das sind Wahrheiten, von denen wir nichts haben. Die einzige Wahrheit, von der wir etwas haben, ist die, daß jeder von dem umgebracht worden ist, der ihn nun einmal umgebracht hat, und nicht von irgend jemand anderem. Ploeg von uns und deine Familie von den Deutschen. Wenn du meinst, daß wir es nicht hätten tun dürfen, mußt du auch dazusagen, daß es besser gewesen wäre, wenn die Menschheit nicht existiert hätte, geschichtlich gesehen. Dann kann alle Liebe und alles Glück und alle Güte der Welt nicht den Tod eines einzigen Kindes aufwiegen. Des deinen, zum Beispiel. Ist das deine Meinung?«
    Anton starrte verwirrt zu Boden. Er begriff das alles nicht, er hatte nie richtig über die Dinge nachgedacht, während Takes vielleicht nie über etwas anderes nachdachte.
    »Also taten wir es. Wir wußten…«
    »Steht denn das dafür?« fragte Anton plötzlich.
    Takes warf die Zigarette vor seine Füße und drehte sie mit dem Schuh aus, und zwar so gründlich, daß nur noch ein paar Krümel übrigblieben, über die er Kies schob. Er gab keine Antwort auf die Frage.
    »Wir wußten, daß wahrscheinlich mindestens eines der Häuser draufgehen würde. Was das betrifft, haben sich die Herren noch kulant verhalten. Wir wußten nur nicht, welches Haus. Wir hatten die Stelle ausgesucht, weil es dort am ruhigsten war und weil wir von dort am besten wegkommen konnten. Und wir mußten wegkommen, weil noch mehrere von dem Pack auf unserer Liste standen.«
    »Wenn deine Eltern«, sagte Anton langsam, »in einem der Häuser gewohnt hätten, hättest du ihn dann auch dort niedergeschossen?«
    Takes stand auf, machte in seiner schlechtsitzenden Hose zwei Schritte und drehte sich um.
    »Nein, verdammt noch mal«, sagte er. »Natürlich nicht. Was denkst denn du? Nicht, wenn es irgendwo anders gegangen wäre. Aber unter den Geiseln, weißt du, in derselben Nacht, da war auch mein jüngster Bruder dabei. Und ich wußte, daß er eine der Geiseln war. Willst du auch noch wissen, was meine Mutter davon hielt? Die fand das in Ordnung. Sie lebt noch, du kannst sie fragen. Wenn du ihre Adresse haben willst?«
    Anton zwang sich, nicht in Takes linkes Auge zu schauen.
    »Du siehst mich an, als wäre das alles meine Schuld. Herrgott noch mal. Ich zwar zwölf und hab dagesessen und ein Buch gelesen, als es passierte.«
    Takes setzte sich wieder und steckte sich eine neue Zigarette an.
    »Es ist ein dummer Zufall, daß es vor eurem Haus passiert ist.«
    Anton sah ihn von der Seite an.
    »Es ist nicht vor unserem Haus passiert«, sagte er.
    Takes drehte ihm langsam den Kopf zu.
    »I beg your pardon?«
    »Es ist vor dem Haus der Nachbarn passiert. Sie haben ihn vor unser Haus gelegt.«
    Takes streckte die Beine aus, legte die Füße übereinander und steckte eine Hand in die Tasche. Nickend schaute er über den Friedhof.
    »Ein guter Nachbar ist besser als ein ferner Freund«, sagte er nach einer Weile. Ihn schüttelte etwas, eine Art Lachen, vielleicht. »Was waren das denn für Leute?«
    »Ein Witwer mit seiner Tochter. Ein Seemann.«
    Takes begann wieder zu nicken und sagte:
    »Ich danke Ihnen… Ja, das geht natürlich auch, dem Zufall behilflich zu sein.«
    »Darf man das denn?« fragte Anton und hatte sofort das Gefühl, eine kindische Frage gestellt zu haben.
    »Darf man das denn, darf man das denn…«, wiederholte Takes. »In Caracas, da darf man das. Frag doch den Pastor, der treibt sich hier auch noch irgendwo rum. Wirf ihnen das doch mal vor die Füße, von ihrem Standpunkt aus gesehen. Drei Sekunden später, und es wäre vor euerm Haus passiert.«
    »Ich frage«, sagte Anton, »weil mein Bruder damals versucht hat, ihn ein Haus weiter hinzulegen, oder wieder zurück, das weiß ich nicht. Und dann kam die Polizei.«
    »Herrgott, jetzt verstehe ich es endlich!« rief Takes. »Darum war er draußen. Aber wie ist er zu der

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