Das Attentat
und sah ihn mürrisch an.
»Aber du hast deinen Mund nicht gehalten.« Und nach einer Pause: »Das ist jetzt auch geschehen.« Erst mit dem zweiten Satz kam Rauch aus seinem Mund.
Anton nickte. »Das ist wahr«, sagte er.
Er konnte sich den düsteren, dunkelbraunen Augen, die ihn anblickten, nicht entziehen. Das linke Auge war anders als das rechte und das Lid etwas dicker, er hatte diesem durchdringenden Blick nichts entgegenzusetzen. Takes mußte in den Fünfzigern sein, aber sein kräftiges, dunkelblondes Haar wurde nur an den Schläfen leicht grau. Unter den Achseln hatte er große Schweißflecken. Daß hier der Mann saß, der Ploeg an jenem Abend im Hungerwinter erschossen hatte, kam Anton wie ein Märchen vor.
»Ich habe etwas gesagt, das du nicht hören durftest«, sagte Takes, »aber du hast es gehört. Und dann hast du etwas gesagt, das du nicht sagen wolltest. Das sind jetzt die Tatsachen, und darum sitzen wir hier. Ich wußte, daß es dich gibt. Wie alt warst du damals?«
»Zwölf.«
»Hast du ihn gekannt, diesen Halunken?«
»Nur vom Sehen«, sagte Anton, dem die Bezeichnung ›Halunke‹ für Ploeg seltsam vertraut in den Ohren klang.
»Ja, sicher, er kam ja regelmäßig bei euch vorbei.«
»Und ich war mit seinem Sohn in einer Klasse.« Während er das sagte, dachte er nicht an den Jungen von damals, sondern an den großen Kerl, der vor zehn Jahren einen Stein in seinen Spiegel geschmissen hatte.
»Hieß der nicht auch Fake?«
»Ja.«
»Er hatte übrigens noch zwei Töchter. Die jüngste war damals vier.«
»So alt wie meine jetzt.«
»Du siehst, daß das kein mildernder Umstand ist.«
Anton spürte, daß er fast fröstelte, und er spürte eine große Gewalttätigkeit, wie er sie nur in Gegenwart des Mannes mit dem Schmiß unter dem Jochbein gespürt hatte. Sollte er darüber sprechen? Er tat es nicht. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, als wollte er Takes angreifen; außerdem würde er ihm damit nichts Neues erzählen. Es war klar, daß er neben einem Mann saß, der solche Überlegungen schon lange hinter sich hatte.
»Soll ich dir erzählen, was dieser Ploeg für einer war?«
»Meinetwegen nicht.«
»Aber meinetwegen. Er hatte eine Peitsche mit eingeflochtenem Eisendraht, mit der er dir die Haut vom Gesicht schlug und vom nackten Hintern, und dann stieß er dich mit deinem Hintern gegen den glühenden Ofen. Er steckte dir einen Gartenschlauch in den Arsch und ließ das Wasser so lange laufen, bis du Scheiße gekotzt hast. Er hat was weiß ich wie viele Menschen umgebracht und noch viel mehr in Deutschland und Polen in den Tod gejagt. Er mußte also aus dem Weg geräumt werden. Meinst du nicht auch?« Und als Anton schwieg: »Ja oder etwa nicht ja?«
»Ja«, sagte Anton.
»Gut. Andererseits wußten wir natürlich, daß mit ziemlicher Sicherheit Repressalien folgen würden.«
»Herr Takes«, unterbrach Anton ihn, »verstehe ich das richtig…«
»Für dich: Gijs.«
»… verstehe ich das richtig, daß Sie sich mir gegenüber verteidigen? Ich greife Sie doch gar nicht an.«
»Ich verteidige mich auch nicht gegen dich.«
»Gegen wen denn?«
»Ja, das weiß ich auch nicht«, sagte er ungehalten. »Auf alle Fälle nicht gegen mich selbst oder gegen Gott oder derartigen Humbug. Gott existiert nicht, und ich vielleicht auch nicht.« Mit dem Zeigefinger, mit dem er den Abzugbügel betätigt hatte, schoß er die Kippe ins Gras und schaute über den Friedhof.
»Weißt du, wer existiert? Die Toten. Die toten Freunde.«
Wie um ihn zu überzeugen, daß es doch eine höhere Fügung gab, schob sich eine kleine Wolke vor die Sonne, die Farben auf dem Grab schienen plötzlich innezuhalten und die grauen Grabsteine zugleich härter zu werden. Im nächsten Augenblick war alles wieder von Licht überflutet. Anton fragte sich, ob die Zuneigung, die er für den Mann neben sich auf der Bank empfand, einem Hintergedanken entsprang – vielleicht wurde er durch Takes an der Gewalt beteiligt, die damals zugeschlagen hatte, so daß er nun nicht mehr nur das Opfer war. Opfer? Natürlich war er ein Opfer, auch wenn er lebte; doch zugleich hatte er das Gefühl, daß sie eigentlich über jemand ganz anderen sprachen.
Takes hatte sich eine neue Zigarette angesteckt.
»Gut. Wir wußten also, daß mit Repressalien zu rechnen war. Ja? Daß ein Haus angezündet und Geiseln erschossen würden. Sollten wir es deshalb unterlassen?«
Als er nichts mehr sagte, schaute Anton ihn an.
»Wollen Sie, daß ich
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