Das Attentat
Gästen zählte neben einigen bekannten Schriftstellern auch ein berüchtigter Provoanführer. Als Saskia vorschlug, irgendwo anders hinzugehen, kam ihr Vater herein. Er ging mit einigen Männern, von denen Anton ein paar vom Sehen kannte, in den hinteren Teil der Wirtsstube und setzte sich an einen großen Tisch, der vermutlich für ihn reserviert worden war; seine Frau war offensichtlich mit der Witwe und deren Familie ins Trauerhaus gegangen. Als er seine Tochter und Anton sah, winkte er ihnen im Vorbeigehen zu.
Am Tisch führte er das große Wort. In kürzester Zeit wurden drei Gespräche gleichzeitig geführt, und er wurde von seinem Gegenüber in die Defensive gedrängt, ohne daß das seiner guten Laune Abbruch getan hätte – bezeichnend für jemanden, der sich letztlich für überlegen hält. Ein Mann mit blondem Haarschopf und noch blonderen Augenbrauen beugte sich vor und sagte, jetzt wirst du langsam doch ein alter Schwätzer. Wie man nur auf so etwas kommen könne: die vietnamesische Befreiungsfront mit den Nazis zu vergleichen, nur weil für ihn die Amerikaner noch immer die alten Amerikaner seien. Es seien jedoch die Amerikaner, die sich verändert hätten, jetzt seien sie es, die mit den Nazis verglichen werden müßten. De Graaff lehnte sich lachend zurück, drückte die Arme durch und stützte sich mit den Händen an der Tischkante ab, so daß sich die Männer links und rechts neben ihm ebenfalls zurücklehnen mußten. Mit seinem schütteren, weißen Haar und seinem vornehmen Gesicht saß er da wie der Vorsitzende eines Aufsichtsrates. »Mein lieber, guter Jaap…«
»Erzähl mir jetzt bloß nicht, ich hätte wohl vergessen, daß die Amerikaner uns befreit haben.«
»Das wollte ich überhaupt nicht sagen.«
»Da bin ich nicht so sicher. Ich jedenfalls habe nichts vergessen, du hast etwas vergessen.«
»Und was könnte das sein?« fragte de Graaff ironisch.
»Daß uns die Russen genauso befreit haben, auch wenn wir sie hier nicht gesehen haben. Sie haben die deutsche Wehrmacht geschlagen. Und die Russen sind es, die jetzt in Vietnam immer noch auf der richtigen Seite stehen.« Mit einiger Kälte in der Stimme sagte ein Mann, der hinter de Graaffs linkem Arm saß:
»Gespräche dieser Art sollten wir anderen Leuten überlassen.«
»Aber es ist doch so!« sagte Jaap. »Die Russen sind entstalinisiert, und die Amerikaner sind Völkermörder geworden.«
Der Mann hinter dem linken Arm setzte unter seinem schwarzen Schnurrbart ein förmliches Lächeln auf, das zeigte, daß er vielleicht mit Jaap einer Meinung war, Jaap aber nun einen hoffnungslosen Streit ausfocht.
»Alles dreckige Kommunisten«, sagte de Graaff zufrieden in Antons Richtung.
»Prima Kerle.«
Anton erwiderte das Lächeln. Offensichtlich war das Gespräch auch ein Spiel, das sie schon öfter gespielt hatten.
»Jaja«, sagte Jaap, »prima Kerle. Aber ab vierundvierzig, Gerrit, da ging es für dich nicht mehr gegen die Deutschen, sondern nur noch gegen die prima Kerle.«
Anton wußte ganz genau, daß sein Schwiegervater nicht Gerrit hieß, sondern Godfried Leopold Jérôme; anscheinend redete man sich in diesen Kreisen immer noch mit den Decknamen aus der Zeit der Illegalität an, und auch Jaap hieß natürlich nicht Jaap.
»Aber was willst du denn? Die Deutschen waren doch geschlagen?«
Unschuldig sah er Jaap an. »Sollten wir denn die eine Tyrannei gegen die andere tauschen?« Sein Lächeln wurde langsam eine Spur weniger freundlich.
»Schuft«, sagte Jaap.
»Du solltest uns lieber dankbar sein. Wenn es fünfundvierzig nach dir gegangen wäre, wärst du nicht aus der Partei geflogen wie jetzt, sondern an die Wand gestellt worden. Mit Sicherheit, in deiner Position. Genau wie Slansky, ich war damals in Prag. Daß du noch lebst, hast du der Militärregierung zu verdanken.« Und als Jaap schwieg: »Es ist immer noch besser, Vorsitzender eines Fußballvereins auf dem Misthaufen der Geschichte zu sein als tot, meinst du nicht auch?«
Der beleibte Mann, der an de Graaffs Seite saß, ein bekannter Dichter mit einem etwas satanischen Ausdruck in den schrägen Augen, verschränkte die Arme über den Bauch und begann zu lachen.
»Wenn ihr mich fragt«, sagte er, »wird das ein schönes Gespräch werden.«
»O ja«, sagte Jaap und zuckte die Schultern, »bei mir bekommt er ja immer gleich recht.«
»Kennst du die Zeilen von Sjoerd?« fragte de Graaff – und deklamierte mit erhobenem Zeigefinger:
»Ein Volk, das vor Tyrannen
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