Das Attentat
Kraft gekostet, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, und er war froh, daß er nach draußen kam und zu Fuß zum Nieuwe Zijds Voorburgwal gehen konnte. Der Sonnenbrand im Gesicht und auf der Brust machte ihm immer noch zu schaffen. Saskia hatte ihn morgens noch einmal eingecremt, und er hatte sich dabei überlegt, ob er ihr etwas von seiner Verabredung erzählen sollte, hatte es dann aber doch nicht getan. Auf dem Spui stand eine Kolonne blauer Überfallwagen der Polizei, die Spannung in der Stadt war spürbar, daran hatte man sich gewöhnt. Der Bürgermeister und der Minister würden sich schon darum kümmern. Takes wohnte schräg hinter dem Palast auf dem Dam in einem schmalen Haus; um es zu erreichen, mußte er sich zwischen zwei Lastwagen hindurchquetschen. Die Reliefplatte im Giebel des Hauses stammte aus besseren Tagen und zeigte eine Art Fabeltier mit einem Fisch in der Schnauze, und darunter stand:
D'OTTER
Es dauerte eine Weile, bis Anton an der Haustür zwischen allen möglichen Büros, Betrieben und Privatleuten Takes' Namen gefunden hatte, er war mit Bleistift auf einen Papierschnipsel geschrieben und mit einer Reißzwecke unter einer Klingel befestigt, die dreimal gedrückt werden mußte.
Als Takes aufmachte, sah Anton sofort, daß er getrunken hatte. Seine Augen waren wäßrig, und sein Gesicht war noch fleckiger als am Tag zuvor; er war unrasiert, grauschwarze Stoppeln bedeckten die Wangen und den Hals hinunter bis ins offene Hemd. Anton folgte ihm durch einen langen, hohen Gang mit abblätterndem Kalkputz, der vollgestellt war mit Fahrrädern, Dosen, Eimern, Brettern und einem halb in sich zusammengesunkenen aufblasbaren Gummiboot. Hinter Türen war das Geräusch von Schreibmaschinen und Radiomusik zu hören; auf einer antiken Eichenholztreppe, die mit einem kühnen Schnörkel auf den Gang mündete, saß ein alter Mann mit einer Pyjamajacke über der Hose und bastelte an einem zusammensteckbaren Paddel.
»Hast du die Zeitung gelesen?« fragte Takes, ohne sich umzudrehen.
»Noch nicht.«
Durch eine Tür am Ende des Ganges gelangten sie in einen kleinen Raum im Hinterhaus, der zugleich als Schlafzimmer, Arbeitszimmer und Küche diente. Darin stand ein ungemachtes Bett und eine Art Schreibtisch, der mit Papieren, Briefen, Kontoauszügen, aufgeschlagenen Zeitungen und Zeitschriften übersät war, dazwischen eine Kaffeetasse, ein übervoller Aschenbecher, ein offenes Marmeladenglas und sogar ein Schuh. Anton schüttelte es angesichts dieser Ansammlung von Dingen, die nicht zueinander gehörten; zu Hause konnte er nicht einmal ertragen, daß Saskia einen Kamm oder einen Handschuh auf seinen Schreibtisch legte. Überall Töpfe, Pfannen, unabgewaschene Teller, Koffer, als wäre Takes dabei, auszuziehen. Über dem Zinkspülbecken stand ein Fenster offen, es ging auf einen unordentlichen Innenhof hinaus, von dem her ebenfalls Musik zu hören war. Takes nahm eine aufgeschlagene Zeitung vom Bett, faltete sie einmal und dann noch ein paarmal zusammen, so daß nur noch ein Artikel zu sehen war. »Das wird dich auch interessieren«, sagte er, und Anton las:
WILLY LAGES
– ernsthaft krank –
FREIGELASSEN
Er wußte nur so viel, daß Lages Chef des SD oder der Gestapo in den Niederlanden gewesen war und in dieser Funktion verantwortlich für abertausend Hinrichtungen und die Deportation von hunderttausend Juden; nach dem Krieg war er zum Tode verurteilt und schon vor Jahren zu lebenslänglicher Haft begnadigt worden. Dagegen war damals massenhaft demonstriert worden – allerdings ohne ihn, Anton.
»Wie findest du das?« fragte Takes. »Weil er krank ist, unser lieber kleiner Willy. Paß nur auf, wie schnell der in Deutschland wieder auf die Beine kommt – und inzwischen sind deswegen viele Leute wirklich krank geworden. Aber das ist ja angeblich das kleinere Übel. All die humanen Herren mit ihrer Menschenfreundlichkeit auf unsere Kosten. Der Kriegsverbrecher ist krank, ach Gott, das arme Kerlchen. Schnell freilassen, den Faschisten, denn wir sind ja keine Faschisten, wir machen uns die Hände nicht schmutzig. Werden jetzt vielleicht seine Opfer krank? Was sind das doch für unversöhnliche Menschen, diese Antifaschisten, die sind ja selber keinen Deut besser. Das kommt alles auf uns zu, du wirst sehen. Und wer sind die eifrigsten Befürworter der Freilassung? All die Leute, die sich auch im Krieg die Hände nicht schmutzig gemacht haben – allen voran natürlich die Katholiken. Der Kerl ist doch nicht
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