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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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umsonst blitzschnell katholisch geworden im Gefängnis. Aber wenn der in den Himmel kommt, ziehe ich die Hölle vor…« Takes sah Anton an und nahm ihm die Zeitung aus den Händen. »Du hast dich schon damit abgefunden, nicht? Ich will annehmen, daß dein Gesicht vor Scham so rot ist. Auch deine Eltern und dein Bruder unterstanden diesem Herrn.«
    »Nicht diesem Wrack von heute.«
    »Diesem Wrack?« Takes nahm die Zigarette aus dem Mund und ließ ihn einen Moment lang offen, so daß der Rauch langsam entwich.
    »Gib ihn mir, und ich schneide ihm jetzt sofort die Kehle durch. Mit einem Taschenmesser, wenn es sein muß. Diesem Wrack… Als ginge es um den Körper.« Er warf die Zeitung auf den Schreibtisch, schob mit dem Fuß eine leere Flasche unter das Bett und sah ihn plötzlich mit gequältem Lächeln an. »Na ja, du bist ja von Berufs wegen Helfer der leidenden Menschheit, stimmt doch, oder?«
    »Woher weißt du das?« fragte Anton überrascht.
    »Weil ich heute nachmittag deinen Schwiegervater, diesen Schurken, angerufen habe. Man muß doch wissen, mit wem man es zu tun hat.«
    Anton schüttelte den Kopf und konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen.
    »Es ist immer noch Krieg, nicht wahr, Takes?«
    »Sicher«, sagte Takes und sah ihm weiterhin in die Augen. »Sicher.«
    Anton fühlte sich unbehaglich unter dem bohrenden Blick des linken Auges. Sich jetzt auf das Spielchen einlassen, wer zuerst mit den Wimpern zuckte? Er schlug die Augen nieder.
    »Und du?« fragte er und schaute sich im Zimmer um. »Ich bin so dumm gewesen und habe niemanden angerufen. Womit verdienst du deine Brötchen?«
    »Vor dir steht ein begnadeter Mathematiker.«
    Anton mußte laut lachen.
    »Für einen Mathematiker ist dein Büro aber sehr schlecht organisiert.«
    »Die Unordnung ist durch den Krieg entstanden. Ich lebe von der Stiftung Vierzig-Fünfundvierzig. Die ist gegründet worden von Herrn A. Hitler, der mich von der Mathematik erlöst hat. Ohne ihn stünde ich immer noch Tag für Tag vor der Klasse.«
    Takes nahm eine Flasche Whisky von der Fensterbank und schenkte Anton ein. »Auf das Mitleid mit den Mitleidlosen«, sagte er und stieß mit Anton an.
    »Prost.«
    Anton hatte nicht das Gefühl, daß ihm der lauwarme Whisky bekommen würde, aber er spürte, daß er mittrinken mußte. Takes war zynischer als gestern. Vielleicht lag es an der Zeitungsmeldung oder am Alkohol, aber vielleicht war es auch Absicht. Er bot ihm keinen Stuhl an, und aus irgendeinem Grund fand er das sympathisch. Warum mußte man sich immer hinsetzen? Clemenceau hatte sich sogar stehend begraben lassen. Mit dem Glas in der Hand standen sie sich in dem kleinen Zimmer gegenüber wie auf einer Cocktailparty.
    »Ich bin übrigens auch in der medizinischen Branche tätig gewesen«, sagte Takes.
    »Ach? Wir sind Kollegen?«
    »So könnte man es nennen.«
    »Erzähl«, sagte Anton, der ahnte, daß eine schreckliche Geschichte folgen würde.
    »Ich war in einem anatomischen Institut… irgendwo in den Niederlanden, will ich mal sagen. Der Direktor hatte es uns für die gute Sache zur Verfügung gestellt. Da wurden Prozesse geführt, Todesurteile gefällt und so. Vollzogen manchmal auch.«
    »Das ist kaum bekannt.«
    »Muß es auch nicht sein. Man weiß nie, wann es wieder nötig ist. Es war mehr eine interne Sache, Verräter im eigenen Kreis, Eingeschleuste und solche Angelegenheiten. Die kriegten unten im Keller eine Phenolinjektion, mitten ins Herz, mit einer langen Nadel. Danach wurden sie von anderen Helden in Weiß auf einer Anrichte aus Granit zerschnippelt. Daneben stand ein großes Bassin mit Formalin, in dem jede Menge Ohren und Hände und Nasen und Pimmel und Eingeweide herumtrieben. Die Exekutierten waren dann nur schwer wieder zusammenzusetzen. Alles für den Unterricht, verstehst du?« Herausfordernd sah er Anton an. »Ja, ich bin keinen halben Cent wert.«
    »Wenn es für die gute Sache ist…«, sagte Anton.
    »Die Deutschen hatten Angst vor dem Institut, die kamen da lieber nicht hin… Für die spukte es dort.«
    »Aber für dich nicht.«
    »Es gab auch eine Reihe hoher Schränke mit Schubladen, ungefähr fünf in jedem Schrank, und in jeder Schublade eine Leiche. Da habe ich einmal eine Nacht dringelegen, als ich vorübergehend unsichtbar sein mußte.«
    »Und? Gut geschlafen?«
    »Wie ein Murmeltier.«
    »Darf ich dich etwas fragen, Takes?«
    »Schieß los, Junge«, sagte Takes mit honigsüßem Lächeln.
    »Was willst du damit erreichen?

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