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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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folgen würde, kapselte sich ab und begann eine Reise durch Antons zukünftiges Leben, an dessen Ende alles wie eine Seifenblase zerplatzen und wieder so sein würde, als wäre es nie geschehen.
    Seine Mutter kam herein.
    »Toni? Wo bist du? Siehst du ihn?«
    »Nein.«
    »Was sollen wir bloß machen? Vielleicht hat er sich irgendwo versteckt.« Gehetzt lief sie wieder nach draußen und gleich darauf zurück ins Haus. Plötzlich ging sie zu ihrem Mann und rüttelte ihn an den Schultern.
    »Wach endlich auf! Sie schießen auf Peter! Vielleicht haben sie ihn schon getroffen!«
    Steenwijk stand langsam auf. Ohne ein Wort, groß und hager, verließ er das Zimmer. Kurz darauf kam er mit seiner schwarzen Melone und einem Schal zurück. Als er von der Terrasse in den Garten wollte, zögerte er. Anton konnte hören, wie er laut Peters Namen rufen wollte, aber aus seiner Kehle kam nur ein heiseres Krächzen. Entmutigt drehte er sich um. Er kam wieder herein und setzte sich zitternd auf den Stuhl am Ofen. Nach einigen Augenblicken sagte er:
    »Verzeih mir, Thea… verzeih mir…«
    Frau Steenwijk rang die Hände.
    »Jetzt ist es so lange gutgegangen, und jetzt, zum Schluß… Anton, zieh deinen Mantel an. O Gott, wo ist nur der Junge?«
    »Vielleicht bei Kortewegs«, sagte Anton. »Er hat Ploeg die Pistole abgenommen.«
    Die Stille, die seinen Worten folgte, ließ keinen Zweifel darüber zu, daß das etwas Schreckliches war.
    »Hast du das wirklich gesehen?«
    »Ja, im selben Moment, als die Männer ankamen. So… während er weglief…«
    In dem weichen Licht, das nun in den Zimmern hing, machte er einen kurzen Spurt und riß im Bücken eine imaginäre Pistole aus einer imaginären Hand.
    »Er wird doch nicht…« Frau Steenwijk stockte. »Ich geh zu Kortewegs, jetzt sofort.«
    Sie wollte in den Garten gehen, aber Anton lief hinter ihr her und rief:
    »Paß auf! Da sitzt irgendwo ein Kerl!«
    Wie ihr Mann schrak auch sie vor der eiskalten Stille zurück. Nichts bewegte sich. Der Garten, dahinter das kahle, eingeschneite Land. Auch Anton bewegte sich nicht mehr. Alles war reglos – und dennoch verstrich die Zeit. Die Zeit ließ alles aufleuchten wie Kieselsteine auf dem Grund eines Baches. Peter verschwunden, eine Leiche vor der Tür, und ringsum bewaffnete Männer, die sich nicht rührten. Anton hatte das Gefühl, als könne er alles mit einem Schlag ungeschehen machen, so daß es wieder so wäre wie vorher und alle um den Tisch herumsäßen und Mensch-ärgere-dich-nicht spielten: indem er etwas tat, wozu er ohne Zweifel in der Lage war, was ihm gerade jetzt aber nicht einfallen wollte. Wie ein Name, den er vergessen hatte, obwohl er ihn schon hundertmal gesagt hatte; der ihm auf der Zunge lag und ihm nicht nur nicht in den Sinn kommen wollte, sondern sich auch mit jedem Versuch, ihn zu fassen, weiter entfernte. Wie damals, als ihm plötzlich bewußt geworden war, daß er ununterbrochen atmete, Luft einsog, ausblies, und also gut darauf achten mußte, dies auch tatsächlich unentwegt zu tun, denn sonst würde er ersticken – und im gleichen Moment tatsächlich beinahe erstickt wäre.
    Von weit her waren näherkommende Motorräder und ein Auto zu hören.
    »Komm rein, Mama«, sagte Anton.
    »Ja… Ich mache die Türen zu.«
    Sie versuchte sich zu beherrschen, aber er merkte ihrer Stimme an, daß auch sie an die Grenze ihrer Kräfte gekommen war. Er schien der einzige zu sein, der einen klaren Kopf behielt – für einen Flieger eine Notwendigkeit. Auch beim Fliegen konnten schwierige Situationen auftreten: zum Beispiel im Zentrum eines Wirbelsturms, in dem es windstill war und die Sonne schien, aus dem man aber wieder heraus mußte, ins Unwetter hinein, das ringsum tobte. Weil sonst der Treibstoff ausging und man rettungslos verloren wäre…
    Die Motorräder und das Auto waren dem Lärm zufolge nun auf der Uferstraße, direkt vor dem Haus, und aus der Ferne schienen noch mehr Autos zu kommen, schwerere diesmal. Soweit war noch alles in Ordnung; was hatte sich eigentlich geändert – abgesehen davon, daß Peter weg war? Konnte sich überhaupt etwas ändern?
    Dann war es da. Quietschende Bremsen, Geschrei in diesem Deutsch, das metallische Geräusch von Stiefeln, die auf die Straße sprangen. Ab und zu blitzte durch den Spalt im Vorhang grelles Licht. Auf Zehenspitzen ging Anton zum Erker. Überall waren Soldaten mit Gewehren und Maschinenpistolen, Motorräder, die ankamen und abfuhren, Lastwagen mit noch mehr Soldaten; ein

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