Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
jedoch noch das Namenskürzel, mit denen Conley die Niederschriften abschloss: B.C.
In knapper Form gaben die Notizen Geschehnisse wieder oder einzelne, ungeordnete Gedanken, sprunghaft, wie bei einem delirierenden Fieberpatienten. Sie zeitlich nach ihrem stetig düsterer werdenden Ton zu ordnen, erwies sich als einzig brauchbare Methode. Eine Notiz, die er eindeutig unter den Beginn der Aufzeichnungen einreihen konnte, offenbarte Conleys Charakter auf prägnante und makabre Weise.
... daß ich mich den Nachstellungen der rechtmäßigen Besitzer ausgesetzt sehe, die ein starkes Interesse zeigen, das geheimnisvolle Instrument wieder in die Hand zu bekommen. Eine Lästigkeit, die, so steht zu vermuten, nur mit einem Pistolenschuß aus der Welt zu schaffen ist.
B.C.
Im gleichen Absatz fand Leonard eine kurze Beschreibung einer absonderlichen Rückenbemalung, die ihn elektrisierte. Die Worte malten die gleiche Zeichnung, wie er sie an dem toten Schmied Gandring gesehen hatte. Schon damals existierte demnach ein geheimer Zirkel, der den Dolch hütete. Der Tote vom Schiff, Gandring und sein Entführer mussten ihre Nachfahren sein. Wieso die drei erst wieder aktiv geworden waren, nachdem seine Eltern dieses tödliche Ritual inszeniert hatten, blieb ihm ein Rätsel. Möglicherweise, so ahnte er, spielte seine frappante Ähnlichkeit mit dem Offizier eine Rolle. Leonard betrachtete die Fotografie, in der er sich anfangs selbst zu erkennen glaubte. Als einzige trug sie ein Datum. Die restlichen Abzüge, die sich in dem Fell befanden, waren weder nach Zeit noch ihrer Bedeutung zu ordnen. Eine zeigte eine Reihe halb nackter Männer, Burmesen vermutlich, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Lider zusammengepresst, die Münder verzerrt. Ein Ereignis jenseits der Kamera versetzte sie in einen wilden Schrecken. Aus dem zweiten schaute gequält ein Geistlicher heraus, den linken Arm bandagiert und in eine Schlinge gelegt. Der junge Burmese an seiner Seite lachte fröhlich. Die dritte Fotografie bildete eine steinerne Tafel ab, darauf eine Inschrift in einer ihm unbekannten Sprache. Genau in der Mitte der erstaunlich scharfen Abbildung entdeckte er ein Symbol, das ihm schon mehrmals begegnet war. Das Chu-Po-Zeichen für die Ziffer 1. Conley war dem Geheimnis auf der Spur gewesen.
Die letzte Fotografie erwies sich als die rätselhafteste von allen. Er erkannte einen dschungelüberwucherten Bach– oder Flusslauf. Da das Objektiv die Stämme wuchtiger Bäume erfasste, gab es einen beträchtlichen Bildwinkel wieder. Dennoch füllte das in Brauntönen wiedergegebene Ast- und Blattgewühl den gesamten Ausschnitt. Der linke Bildrand schnitt einen mächtigen Baumstamm ab. Und von dort ragte horizontal ein nackter, ausgemergelter Arm in das Bild. Als durchstoße er das Holz des Baumes wie eine nach Licht dürstende Pflanze den Erdboden. Die dürre Hand hielt eine gewellte Klinge. Leonard zweifelte keine Sekunde.
Er war es, das Auge der Dunkelheit .
So wie die Notizen in einen immer dunkleren Klang verfielen, wurden auch die einzelnen Teile der gesamten Hinterlassenschaft zunehmend mysteriöser. Die beiden darin enthaltenen Gegenstände hielten ihre Bedeutung vollends verborgen. Das bronzene Amulett, so schätzte Leonard, mochte an die hundert Jahre alt sein. Auf der Vorderseite meditierte ein Buddha. Im Unterschied zu den üblichen Darstellungen dieser Art wandte der Meditierende dem Betrachter den Rücken zu. In die Rückseite des Amuletts war ein Quadrat eingraviert, sowie drei übereinanderliegende gewellte Linien. Das zweite, ein Stück brüchiges Leder, entglitt Leonards Händen, als er es erkannte. Menschliche Haut. Darauf schimmerte ein Teil des dreizackigen Sterns. Mit Abscheu schob er es beiseite und betrachtete den letzten Teil des Bündels, vier Zeichnungen. Die Darstellung des Kris, des Weiteren eine selbst verfertigte Geländekarte, auf der Punkte markiert waren. Sie enthielt weder Orts- noch sonstige Namen, sodass sie keinem bestimmten Gebiet zugeordnet werden konnte. Dann die Zeichnung eines Vierecks, unterteilt in 9 gleich große Felder. Eine krakelige Schrift am Rand bezeichnete es als das magische Quadrat. Im Deckel des Wahrsager-Kästchens hatte er das gleiche Quadrat entdecken können, dort aber mit Zahlen versehen. Dieses Gebilde diente eindeutig okkulten Zwecken.
Das letzte Blatt stellte einen grauenerregenden, menschenfressenden Dämon dar. Eine blutrünstige Gottheit, in grellen Farben wiedergegeben.
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