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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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entgegen genommen hatte, übertölpelte der Fahrer Leonard mit einem Vorschlag.
„Vielleicht möchten Sie in der Zwischenzeit Ihr Schicksal erfahren.“
Die Ratlosigkeit in Leonards Gesicht veranlasste Ellen zu einer Erklärung.
„Das ist ganz harmlos. Das hat er mit uns auch gemacht. Er kennt einen alten Wahrsager. Die Burmesen machen das bei jeder Kleinigkeit. Erst mal den Wahrsager fragen. Wenn sie verreisen wollen, und der Wahrsager meint, die nächsten zwei Wochen sind ungünstig, dann lassen sie´s. Und wenn es noch so wichtig ist.“
„Okay. Hat einen gewissen Reiz, zu erfahren, wie´s mit meinen nächsten zwei Wochen aussieht.“
Schnell verschwand der Fahrer auf der dunklen Straße außer Sicht. Erst jetzt bemerkte Leonard den schlanken Schatten neben dem Hoteleingang. Ein leichtes Flimmern zog seinen Nacken herauf. Das Mädchen trug den gleichen Ausdruck wie das Kind, das ihm den Weg versperrt hatte, kurz bevor das Kantholz über sie hinweggefegt war. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, als sei das Erscheinen asiatischer Mädchen gleichbedeutend mit dem nahenden Tod. Das dürre Gespenst fasste mit kalter Hand seine Schulter.
`Du bist nicht in Sicherheit.´
Still bedauerte er, sich auf diesen Wahrsager eingelassen zu haben.
„Wer ist das Mädchen?“
„Das ist Nini“, antwortete Ellen und setzte ein ernstes Gesicht auf.
„Hat ´ne üble Geschichte hinter sich“, meinte Ruud.
„Wir waren vor sechs Wochen unten im Delta“, erläuterte Ellen. „Bei einer dieser Familien, die mit einem Dollar am Tag auskommen müssen. Sie suchen jeden Tag diesen dreckigen Fluss nach was Essbarem ab. Haben Sie den Irrawaddy schon gesehen?“
„Nein. Ich bin bis jetzt nur hier in Rangun gewesen.“
„Sie wollen nicht wissen, was da alles drin rumschwimmt. Alles, aber wirklich alles geht da ungeklärt rein.“
„Aber ich hab gesehen, wie hier Leute Wäsche im Fluss waschen. Sogar sich selbst. Und ihre Zähne mit dem Wasser putzen.“
„Was sollen sie machen? Wasser, in dem ihre eigenen Fäkalien rumschwimmen, ist immer noch besser als gar keins. Als wir da unten waren, mussten wir selbst rein.“
Ein leiser Schauer huschte über Ellens Gesicht.
„Infrastruktur: Null!“, sagte Ruud. „Entweder das oder man stinkt nach zwei Tagen wie ein Otter.“
Die Milde, mit der Ellen das Mädchen bedachte, zeugte von einer tieferen Verbundenheit.
„Ihre Familie wollte sie verkaufen. Schulden, nehm ich an. Da tauchten eines Tages drei Typen auf. Geschieht regelmäßig. Sie suchen junge Mädchen.“
„Für Bordelle.“
„Wenn die armen Dinger Glück haben.“
Was denen widerfuhr, die weniger Glück hatten, verschwieg Ellen.
„Ich hab das Geld bezahlt. Seitdem weicht sie mir nicht mehr von der Seite. Wahrscheinlich glaubt sie, sie gehört jetzt mir. Ich hab versucht, ihr klarzumachen, dass sie nicht meine Dienerin ist. Zwecklos. Was soll ich machen?“
„Zumindest ist sie so besser dran.“
„Irgendwann werde ich wieder gehen. Wenn die Arbeit vorüber ist. Nach Deutschland gehen, meine ich.“
Sie litt darunter, das Mädchen sich selbst überlassen zu müssen. In den Moment der bedrückenden Stille brach ein Lichtspiel. Die gegenüberliegende Straßenseite wurde schlagartig wieder mit Strom versorgt. Die matte Innenbeleuchtung einiger Läden flammte auf und der Schein von drei orange schummernden Laternen. Den beiden Gestalten in der Mitte der Straße, bislang unsichtbar, verlieh es den Effekt von Schauspielern, die mit einem Trick auf die Bühne gezaubert wurden. Zusammen mit einem hutzeligen Männlein betrat Kaih die Veranda. Der Alte, barfuß, trug einen verwaschenen Wickelrock und ein löchriges T-Shirt. Umsichtig, als befände sich etwas Lebendiges darin, stellte er ein Holzkästchen auf den Tisch.
„Wahrsagerei scheint nicht viel einzubringen“, sagte Leonard.
„Wenn die Vorhersagen zu schlecht ausfallen, weigern die Burmesen sich, zu zahlen.“
Das Kästchen enthielt alles für die Prozedur Erforderliche. Holzstäbchen mit Zeichen darauf, Pappkarten mit bunten Figuren und Mustern, Knochenstückchen. Leonard wurde aufgefordert, seine Angaben zu machen, Geburtsdatum, der Wochentag der Geburt, sein Alter.
„Sie sehen in die Zukunft, aber auch in die Vergangenheit“, raunte Ellen Leonard zu.
Nach einem undurchsichtigen Plan sortierte der Alte die Karten, fuhr mit einem Daumen über die Zeichen von drei der Holzstäbchen, rührte mit einem anderen Finger in den Knochen herum. Dabei

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