Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Meisterleistung.“
Die Entdeckung fegte jeden Zweifel Leonards fort. Und jede Vorsicht.
„Also gut, Leute. Wer zuerst?“
Kaih, der bislang nur dabeistand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den anderen interessiert zusehend, wehrte ab. Und Ruud wand sich, als krauche eine Schlange sein Hosenbein hinauf.
„Ohne mich. Auf gar keinen Fall.“
„Was ist los?“
„Okay, ich hab gehofft, dass es nie so weit kommen würde. Aber jetzt hab ich den Salat.“
Niemand verstand.
„Klaustrophobie, klar? Ich leide an Klaustrophobie. Nichts und niemand kriegt mich da rein.“
„Es ist nur ein kurzes Stück“ sagte Ellen, in das Loch hineinleuchtend. „Dahinter ist der innere Umgang. Gott, riecht das übel da drinnen.“
„Vergesst es!“
Leonard gab Ellen einen freundschaftlichen Klaps.
„Na, los, du Forscherin von Gottes Gnaden. Sonst stehen wir morgen noch hier.“
Ohne Zögern zwängte sich Ellen durch die Öffnung.
„Zu Ehren Buddhas wird man sich wohl mal die Robe beschmieren dürfen.“
Lachend verschwand Namdring als nächster im Innern, Leonard folgte ihm und auch Kaih überwand sich zuletzt.
Ruud wartete noch eine Weile. Seine Klaustrophobie hatte er überspitzt. Es handelte sich nur um eine Beklemmung, die ihm den Durchgang problemlos gestattet hätte.
Spiel hier nur den großen Zampano, mein lieber Ami, dachte er bitter. Dann lenkte er seine Schritte in Richtung des nördlichen Zuganges.
Der innere Umgang, fünf Meter hoch, lag in absoluter Finsternis. Die Luft roch säuerlich nach Vergorenem und verursachte eine leichte Übelkeit. Zur Verwunderung aller enthielt sie ausreichend Sauerstoff. Die vier Strahlen ihrer Taschenlampen tanzten über ebenen Stein. Boden und Wände glitzerten spiegelglatt und fugenlos im Licht. Anstelle der Buddhas besetzten schauerliche Götzen die Nischen im inneren Umgang.
„Die alten Götter“, stellte Namdring fest. Die Wände verschluckten die Schwingungen seiner ruhigen Stimme. Plötzlich stieß Leonard einen Schrei aus. Die anderen fuhren erschrocken zusammen. Der Schrei erzeugte keinerlei Echo, der Schall fiel direkt vor Leonards Füße.
„Entschuldigt, ich wollte nur was ausprobieren“, meinte er.
Ellen verstand.
„Ein reflexionsarmer Raum. So was dient für Experimente zur Schallwahrnehmung. Das kann man hier aber wohl ausschließen.“
„Wie haben sie das hingekriegt? Und warum?“
„Vielleicht ist das der Grund.“
Weiter vorn im Gang lehnten Skelette an der Wand. Allen stand der Unterkiefer weit nach unten ab, als hätten sie sich bis zum Schluss die Seele aus dem Leib geschrien.
„Oh, Gott. Sie wurden hier eingeschlossen.“
„Wir werden noch mehr davon finden“, sagte Namdring bedrückt. „Vermutlich die Arbeiter, die diesen Gang angelegt haben. Niemand durfte von seiner Existenz erfahren. Sie sollten das Geheimnis für sich behalten.“
„Jede Wette, dass kein Laut in den äußeren Umgang dringt“, meinte Leonard.
Hinter der ersten Biegung fanden sie weitere menschliche Überreste. Im gesamten Umgang zählten sie die Knochen von siebenundzwanzig Männern. Kratzspuren an den Wänden zeugten vom ebenso verzweifelten wie sinnlosen Versuch, dem grauenhaften Tod in der Finsternis zu entkommen. Die Unglücklichen waren stunden- vielleicht tagelang in der absoluten Dunkelheit umhergeirrt. Bis sie auf der vergeblichen Suche nach einem Ausgang die Kräfte verloren.
Bei der ersten Umrundung blieb ihnen der Zugang zur unteren Ebene verborgen. Bei der zweiten konzentrierten sie sich auf Eigentümlichkeiten der Seitenwände. Drei rechteckige Öffnungen, die sich von den übrigen Nischen unterschieden, erregten ihre Aufmerksamkeit. Man hatte sie einen Meter weit in die Wand gemeißelt. Jede enthielt eine steinerne Gestalt, nur sichtbar, wenn man das Gesicht direkt an die Öffnung führte. Mit drohend gefletschten Zähnen glotzten sie aus ihren Verstecken.
„Vermutlich öffnet einer davon hier einen Durchgang“, sagte Ellen. „Na, ihr Lieben. Welcher von euch ist es? Der Dritte, oder?“
Gerade wollte sie hineingreifen, doch plötzlich packte Namdring ihr Handgelenk.
„Warten Sie! Dies hier sind keine Götter. Es sind Wächter.“
Er griff den Oberschenkelknochen eines Skelettes.
„Ich werde später ein gutes Wort für den Armen einlegen“, sagte er. Dann schob er den Knochen vorsichtig in die Öffnung. Als er den Götzen berührte, schoss ein metallener Pfeil hervor und bohrte sich in den Knochen.
„Sie hätten Ihre
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