Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
kreischte Nini, wandte sich panisch um zu dem massigen Tempel, der hinter ihnen in der aufgewirbelten Staubwolke verschwand.
„ Godverdomme ! Du gehst mir auf den Sack mit deinem Gespenstermüll.“
„Kein Gespenst. Der Mann.“
„Der Mann, ich weiß, Nini“, versuchte Ruud es mit einem sanfteren Tonfall. „Aber sie ist in Sicherheit, solange die anderen bei ihr sind. Sie ist sicher, glaub mir. Der Amerikaner wird sie nicht anrühren.“
Jedenfalls kaum auf die Weise, die sich Nini da einbildete, dachte er verdrießlich. Nervös rutschte das Mädchen auf seinem Sitz herum, kaute auf den Fingernägeln. Die Zeichen der gestrigen Nacht verwirrten sie. Nur eines wusste sie. Das Böse, das da aus dem Dunkel gekommen war, wollte den Weißen mit den grünen Augen.
„Nicht Ami“, stammelte sie. „Der Mönch.“
„WAS?“
„Wahrsager in Rangun Fehler gemacht“, versuchte sie eine Erklärung. Eine, die sie sich auch selbst gab. „Muss haben falsche Zahlen. Nicht Ami böse.“
„Jetzt mach aber mal´n Punkt. Du willst mir doch nicht erzählen, dass Namdring ...“
Einmal kräftig ausatmend fuhr er seine Stimmlage wieder herunter.
„Hör zu, Nini. Der Ami ganz sicher böse. Und ich werde es dir zeigen, verstehst du? Und jetzt Schluss damit, klar?!“
Er preschte den Verbindungsweg ins Dörfchen Nyaung U entlang. In weniger als einer Stunde erreichten sie den Bootsanleger. Ein paar Planken, die kaum zwei Meter weit in den trägen Fluss ragten. Da Nini sich weigerte, auszusteigen, zog Ruud den Zündschlüssel ab und steckte ihn ein. Weiß der Teufel, wozu die fähig ist, dachte er. Dann stapfte er durch den dunklen Schlamm des abschüssigen Ufers auf den Steg zu. Überall lag Abfall herum, es stank nach Fäkalien. Schweine und Hunde suchten in dem schwarzen Unrat nach Essbarem. Definitiv kommt mir kein Schwein mehr auf den Tisch, würgte Ruud stumm. Die vergangenen Mahlzeiten schmeckten übel im Rachen.
Mit einem Bootsbesitzer handelte er einen Preis aus. Auf einem Lastkahn fanden sich die beiden Gegenstände, die er für sein Vorhaben benötigte. Ein Bootshaken und ein vier Meter langer, mit Markierungen versehener Bambusstab, der zum Loten der Wassertiefe diente.
„Dauert nicht lang“, sagte er dem Bootsbesitzer. „Ist nur ein Stück flussabwärts.“
Dort hatte er am Morgen einen roten Wimpel im Ufergebüsch befestigt, der die gesuchte Stelle markierte.
Kapitel 36
„Um Gottes willen. Was tun Sie denn da, Namdring?“, flehte Ellen. Sie hielt sich mit letzter Kraft auf dem seifigen Untergrund.
„Sein Name ist nicht Namdring.“
Unter der herabgerutschten Robe, an der linken Schulter, hob sich eine frisch verheilte Wunde von der dunkleren Haut ab. Sein Entführer. Die Verwirrung überrumpelte Leonard.
„Richtig, Finney“, knurrte der Mönch. „Das ist das kleine Andenken, das du mir in Singapur geschenkt hast.“
„Wer ...?“
„Arundhavi“, lautete die Antwort. „Es wird dir ohne Nutzen sein, meinen Namen zu erfahren. Ich kenne deinen, Leonard Finney. Ich hab dich gesehen, lange bevor alles anfing. Auch die anderen haben dich gesehen. Meine Brüder, der empu Gandring und Meister Nodo.“
Der Mönch erriet Leonards wilde Gedankensprünge.
„Wie ich dich gefunden habe? Es gab da einen eifrigen Detective in Singapur, einen Mister Chao. Er hat sich viel Mühe gegeben, mich zu töten. Ich bin ihm zuvorgekommen. Er starb in dem alten Krankenhaus, auf die Weise, die ich für dich vorgesehen hatte. Aber er hat mir noch alles erzählt, was ich wissen musste, bevor die Nadeln durch seine Augen drangen.“
Verächtlich spuckte Arundhavi aus.
„Dass du hier auftauchen würdest, habe ich gesehen. Wie ich diesen Ort schon gesehen hatte, in meinen Träumen. Wir haben nicht alles gesehen. Aber wir hatten starke Träume zusammen, Gandring, Nodo und ich. Leider ist das jetzt vorbei. Aber nun habe ich, was ich brauche.“
Der besagte Nodo konnte nur der tote Schamane auf der Nalanda Star sein. Und mit den Träumen meinte Arundhavi vermutlich die ominösen, gemeinsamen Trance-Rituale. Weitere Zusammenhänge zu erfassen verbot ihm seine tödliche Lage.
„Hör zu“, keuchte Leonard. Auch ihn kostete es alle Kraft, sich noch zu halten. „Ich habe mit dem Tod deiner Brüder nichts zu tun. Chan Khuo. Er war es.“
„Chan Khuo, ja. Den Namen habe ich gehört. Um ihn wird sich das Schicksal kümmern. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber du.“
Er leuchtete Leonard ins Gesicht.
„Alle dachten, du
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