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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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Schwärmerisch redete Kavenay weiter.
„Der Übergang ins Jenseits markiert den Zeitpunkt Ihres Todes. Überschreiten Sie ihn, haben Sie also Ihr letztes Lebensjahr erreicht. Genau genommen, die letzte Sekunde. Auf einer geistigen Ebene beenden Sie damit Ihre gesamte Existenz. Sie sehen die dreißig Jahre, die Sie schon hinter sich haben. Aber auch die dreißig Jahre, die noch folgen werden.“
„Sie müssen den Verstand verloren haben, Kavenay. Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
Kavenay seufzte, wie ein Lehrer, der es mit einem begriffsstutzigen Schüler zu tun hatte.
„Es ist genau das, was sich bei bestimmten Trance-Ritualen abspielt. Es ist dieser Effekt, der Schamanen zu Zukunftsdeutungen befähigt. Ebenso, wie sie auf verblüffende Weise Ursachen erkennen, die in der Vergangenheit liegen und von denen sie eigentlich nichts wissen können. Das Problem ist allerdings ...“
    F ür einen kurzen Moment entrückte Kavenay.
    „... das Problem ist: Nahtod-Erfahrungen und Trance-Rituale, wie sie bislang untersucht werden konnten, stellen nur ein kurzfristiges, zufälliges und blindes Herumstochern im Bereich unendlicher Möglichkeiten dar. Aber ein solcher Übergang öffnet Ihnen ungeahnte Dimensionen.“
Mit einer raumgreifenden Geste beider Arme unterstützte er seine Worte.
„Sie können hindurch. Willentlich. Kontrolliert. Lange genug, um wirkliche Erkenntnisse zu gewinnen. Und Sie können mit dem gewonnenen Wissen wieder zurückkehren.“
Eindeutig wahnsinnig, stellte Leonard fest. Das Reich der Toten. Kavenay glaubte wirklich, das Jenseits betreten zu können.
„Wären Sie nicht neugierig auf einen Trip?“, fragte Kavenay plötzlich.
„Wenn es so vor sich geht, wie Sie sagen, was kann man dann bei Ihrem Trip erkennen? Auf welche Weise man ums Leben kommen wird?“
„Interessanter Ansatz“, meinte Kavenay. „Aber denken Sie daran, was Sie dort wirklich erkennen können. Nehmen wir Ihr zugegebenermaßen simples Beispiel. Sie gehen hinüber und sehen dort, dass Sie an einem bestimmten Tag von einem Auto überfahren werden. Dann bleiben Sie an diesem Tag in Ihrer Wohnung und springen so dem Tod von der Schippe. Das Wesentliche dabei ist aber: Sie können erkennen, Mister Finney, ob Sie einem Schicksal unterworfen sind oder am Ende einer Kette von Zufällen stehen.“
„Ist alles eine Kette von Zufällen, dann existiert diese Schwelle nicht.“
In Kavenays Gesicht zeigte sich eine Spur von Überraschung.
„Ein Kosmos aus Zufällen ist ein gottloser Kosmos“, erläuterte Leonard. „Kein Gott, kein Jenseits. Kein Jenseits, kein Durchgang, der dorthin führt. Sie hätten keine Möglichkeit, dem Tod, wie Sie sagen, von der Schippe zu springen. Sollte es diesen Durchgang doch geben, wäre seine schiere Existenz bereits der Beweis für das Vorhandensein eines unabänderlichen Schicksals. Mit anderen Worten: Sie werden auf jeden Fall von einem Auto überfahren.“
„Mit Gott ist das so eine Sache“, erwiderte Kavenay unbeeindruckt. „Die Christen haben einen Gott, die Hindus Tausende davon. Die Urlehre der Buddhisten bestreitet, dass es überhaupt einen gibt. Wieso also nicht ein Jenseits mit Tausenden von Göttern. Oder eines ohne jeden Gott.“
Als überlege er seine nächsten Worte, trommelte er mit seinen Fingern auf der Tischkante herum.
„Ihre Eltern argumentierten da viel radikaler“, fuhr er fort, „Und das hat ihnen wohl die größte Kritik eingebracht. Ihrer Meinung nach ist das, was wir als Gott oder das Göttliche bezeichnen, nur eine andere Bewusstseinsstufe. Diese andere, höhere Stufe IST das Jenseits.“
Dies stellte bislang die irrsinnigste Theorie dar, was sich in der Schwarzen Pagode verbergen sollte. Aber alles bisher Geschehene war irrsinnig. Wie wollte er das Erscheinen einer toten Alten in der Apotheke erklären? Wie die Umstände, die ihre Warnung auslösten und ihn zum Gelben Haus führten? Alles eine Kette von Zufällen? Bis hin zu der hundert Jahre alten Nachricht des Blackford Conley, versehen mit seinen eigenen Initialen?
„Man hat mir alles Mögliche erzählt, was dort zu finden ist, an diesem Ort“, sagte er. „Macht, Reichtum, ewiges Leben. Was für ein Interesse haben Sie daran?“
„Ewiges Leben“, stieß Kavenay verächtlich aus. „Ich kenne inzwischen einige, die da im Hintergrund ihre Fäden ziehen. Chan Khuo. Dürfte Ihnen bekannt sein. Die Sorte gefährlicher Spinner, denen man so ein wertvolles Instrument um keinen Preis überlassen darf.“

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