Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Holzkreuzen jüngeren Datums. Daran grenzte ein Areal mit steinernen Kreuzen, zwanzig oder dreißig Jahre alt. In beiden gab es zu Füßen der Kreuze weder Grabumfassungen noch Platten. Man buddelte nur ein Loch, versenkte Sarg oder Urne, klopfte die Erde wieder fest und pflanzte ein Kreuz auf die Stirnseite. Niemand kümmerte sich mehr darum. Nirgends frische Blumen oder Anzeichen, dass man die Anlage pflegte. Ein Mittelgang trennte diesen lieblos gestalteten vom älteren Teil des Friedhofs. Hier überragten stark verwitterte Grabsteine Umfriedungen und wuchtige Grabplatten, die Sarkophagdeckeln ähnelten. Das jüngste in Stein gehauene Datum verband sich mit dem Schicksal einer Ausländerin, meiner geliebten Frau Darlene Hamilton, gestorben am Fieber im Jahre des Herrn 1922. Zur Nordostecke des Friedhofs hin wanderte Arundhavi immer weiter in die Vergangenheit. Auf den Kreuzen und Steinen, anders als im neueren Teil, nur englische Namen. Er erreichte das Grab eines Doktors aus dem Jahr 1901. Noch vier Reihen, die vor ihm lagen. Plötzlich schreckte ihn eine Stimme auf. Eine bekannte!
„Na, wenn das nicht unser kleiner Fremdenführer ist. Ziemlich fix den Beruf gewechselt.“
Arundhavi fuhr herum. Auf dem Umgebungsmäuerchen saß der hagere Blonde. Übermütig baumelte er mit den Beinen, die Hände auf den Gehstock gestützt.
„Mönch bringt wohl mehr ein, mein lieber Arundhavi.“
Sämtliche Muskeln spannten sich unter Arundhavis gelbem Umhang. Er hielt sich nicht lange mit Vermutungen auf, wie der unheimliche Mann hergefunden hatte und woher er seinen Namen kannte. Warum er hier war, stand außer Frage. Und sein bulliger Begleiter dürfte in der Nähe sein. Unauffällig faltete er die Hände unter der Robe.
„Es scheint, wir haben ähnliche Interessen“, sagte er freundlich.
„Ich würde es anders ausdrücken“, sagte der Mann. „Wir haben unvereinbare Interessen.“
Er ist sich seiner Sache sehr sicher, dachte Arundhavi.
„Sie wissen nicht, worauf Sie sich da einlassen.“
Kavenay hüpfte von der Mauer.
„Das täuscht. Ich besitze sogar recht klare Vorstellungen davon. Das Wenige, was mir noch fehlt, werden Sie mir verraten.“
Die eisige Andeutung verstand Arundhavi auf Anhieb.
„Mein Geheimnis wird dir nicht von Nutzen sein“, zischte er. „Es ist dir nicht bestimmt.“
„Das solltest du besser wissen, Mönchlein. Ist man erst mal ans Ziel gelangt, lässt sich eine Bestimmung ändern.“
Gemächlich näherte sich der gelbäugige Satan.
„Und wer weiß, vielleicht ist das ja längst geschehen. In der Zukunft. Vielleicht stehen wir gar nicht wirklich hier, an diesem traurigen Ort. Vielleicht sind wir ja nur Schatten. Eine Erinnerung an Dinge, die nie geschehen sind.“
Arundhavi versuchte, den Sinn der Worte zu ergründen. Sie klangen nach dem Jenseits. Erst jetzt erkannte Arundhavi, warum der Mann so gefährlich war. Er besaß keine Seele! Und dann spürte er eine Bewegung, direkt hinter sich.
Kapitel 49
Ellen und Nini pressten sich in die Sitze, die Hände in die Lehnen verkrampft. Aus Platzmangel zwängte sich Leonard in die enge Kanzel unterhalb der Bugnase. Dort, wo einmal der Bombenschütze, in das Flakgewitter starrend, auf den Abwurfbefehl gewartet hatte. Unter ihm flitzte der von Buckeln übersäte Untergrund vorbei. Schwerwinde durchrüttelten die klapprige Bristol. Mehrmals riss Lillifield die Maschine ruckartig nach oben, Bodenwellen ausweichend. Leonard hörte ihn in der Pilotenkanzel gurgelnd lachen.
„Wenigstens kein Nebel. Is´n verdammtes Problem um diese Jahreszeit.“
Das Flugzeug krachte plötzlich mit einem ungeheuren Schlag auf den Grund, die Motoren röhrten, der ganze Rumpf zitterte und ächzte bis in die Verschraubungen. Leonard meinte, einen ganzen Akt einer Shakespeare-Tragödie aufsagen zu können, bevor die Maschine zum Stillstand kam. Wie Lillifield es schaffte, seine Loretta beinahe ohne Sicht herunterzubringen, sollte ihm immer ein Rätsel bleiben. Ihre Zeit reichte nur für einen kurzen Dank und das Versprechen, das Geheimnis des Transportunternehmens zu wahren.
Sofort wendete Lillifield den alten Bomber. Beide Motoren heulten wieder auf. Nach zehn Metern verschwand das Flugzeug in der Dunkelheit, und nur an dem sich rasch entfernenden Dröhnen erkannten sie, wie es abhob und im Abendhimmel verschwand.
In einem nahegelegenen Dorf trafen sie jemanden, der sich bereit erklärte, sie auf einem Ochsenkarren nach Hakha zu bringen. Gegen 21 Uhr
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