Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
erreichten sie die Stadt, statteten sich mit dem Notwendigsten aus und verbrachten die Nacht in einer einfachen Unterkunft. Eine Begegnung mit Regierungsangehörigen wollten sie unter allen Umständen vermeiden. Ellens Papiere gestatteten ihnen uneingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten. Nur galt das nicht für Krisengebiete.
Da Nini sich frei bewegen konnte, wagte sich noch einmal hinaus, um Neuigkeiten zu erfahren.
Noch um die Mittagszeit hatte ein Bataillon Regierungstruppen in Hakha Station gemacht, war zu ihrem Glück aber kurz darauf wieder abgezogen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen mit den Separatisten fanden weiter im Osten statt. Trotzdem nah genug, jederzeit davon eingeholt zu werden. Keine Zeitung erwähnte die Geschehnisse in Bagan. Ellen vermutete, Ruud würde Nachforschungen anstellen. Oder er versuchte es auf eigene Faust. Doch wie sollte er sie hier oben in den Chin-Hills finden? Ohne jeden Anhaltspunkt, wohin sie verschwunden waren.
„Kann er das von Conleys Grab wissen?“, fragte Ellen.
„Nein. Ich hab es ihm nicht erzählt. Die einzigen Hinweise darauf befinden sich in meinen Unterlagen. Also weiß nur Arundhavi davon. Und dann noch Kavenay.“
Eine Weile ergingen sie sich in Spekulationen darüber, ob einer der beiden es bereits nach Than Mon geschafft hatte. Dass vor wenigen Stunden ein falscher Mönch Hakha in einem Army-Jeep verlassen hatte, erfuhren sie erst später.
„Das mag jetzt seltsam klingen“, meinte Leonard grimmig. „Aber wenn wir Glück haben, gelingt es dem dreckigen SETI-Bastard zuerst.“
„Du hast eine merkwürdige Vorstellung von Glück.“
„Kavenay hat keinen Schimmer, was die Zeichen auf dem Dolch bedeuten. Er braucht mehr Informationen. Die, die in Conleys Notizen stehen.“
„Wenn er den Kris findet, müssen wir aber erst mal Kavenay finden.“
„In dieser abgelegenen Gegend ist es einfacher, einen Ausländer zu verfolgen als einen Mönch.“
Ein dünner Faden Hoffnung, der schnell zerreißen konnte. Ein quälender Gedanke verdunkelte Leonards Gesicht.
„Mach dir keine Sorgen. Wir werden das schaffen“, munterte Ellen ihn auf.
Genau dieses - wir - in ihrem Satz beunruhigte ihn.
„Ich habe dich und Nini in Lebensgefahr gebracht. Weder Arundhavi noch Kavenay werden aufgeben. Sie gehen über Leichen. Ich kann das nicht länger von euch verlangen.“
Ihre Reaktion knallte ihm wie eine unerwartete Ohrfeige ins Gesicht.
„Willst du den einsamen Helden spielen?“
„Ihr könntet dabei draufgehen, Herrgott. Du solltest dir klar werden, ob dir die Sache das wert ist.“
„Ob mir die Sache das wert ist?“ echauffierte sie sich. „Okay. Dann sag ich dir was. Die meisten finden das wahrscheinlich superspannend, in einem exotischen Land herumzureisen und alte Heiligtümer zu kartografieren. Ist es vielleicht auch. Aber als wir in Bagan das Untergewölbe gefunden haben, hab ich zum ersten Mal gespürt, dass es noch mehr gibt. Etwas zu entdecken, was noch nie jemand zuvor entdeckt hat. Einmaliges, Bedeutendes. Dass dich selbst zu jemand bedeutendem macht. Mehr zu sein als eine von vielen grauen Archäologen-Mäusen, die Staub von irgendwelchen Tonkrügen wischen. Ja, verdammt. Das ist mir die Sache wert.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte ihr Gesicht zur Seite.
„Und außerdem liebe ich dich.“
„Deutscher Dickkopf“, hauchte er und zog sie zu sich heran.
„Inselaffe“, brummelte sie, die Beleidigte nur noch vorspielend.
Die Suche hatte ihn in Brand gesetzt und nun schlug die Flamme auf sie über. Sie würde nicht von seiner Seite weichen. Und er wollte auch nicht, dass sie wieder aus seinem Leben verschwand. Nie hatte er jemanden, ähnlich wie Martha und Evan, nah an sich herangelassen. Bei Ellen verspürte er zum ersten Mal den Wunsch, sich zu öffnen.
„ Wir werden das schaffen“, sagte er.
Die Nacht verbrachten sie in dem bangen Hoffen, ihren Gegnern doch noch zuvorzukommen. In der Kühle des anbrechenden Tages organisierte Nini drei Plätze in einem rostigen Pick-up, die einzige Verbindung nach Than Mon. Während sich der Morgennebel langsam auflöste, rumpelte die Karre die ungeteerte Straße in das Gebirge hinauf. Ihre Zuversicht zerrann wie Wachs in der Sonne. An jeder Hütte hielt das Fahrzeug an und legte auf halbem Weg noch eine Rast ein. Ein Aufklärungshubschrauber ratterte über ihre Köpfe hinweg. In Seelenruhe schlürfte der Pick-up-Fahrer seinen Tee und lachte.
„Army. Viel Ärger im
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