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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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Aufmerksamkeit“, stellte Leonard fest.
„Sie sehen vermutlich selten Fremde. Dann tauchen innerhalb weniger Stunden gleich dreimal welche auf. Und einen Toten gibt es auch noch.“
Heftig zerrte Nini an Ellens Ärmel und deutete auf den jungen Burschen, der sie bediente.
„ Myothit . Neue Stadt.“
„Was willst du damit sagen?“
Während Nini kurze Sätze mit dem Burschen wechselte, wies er mit seinem Arm in die Höhe und wiederholte mehrmals:
„ Than Mon haung.“
Plötzlich setzte Ellen sich kerzengerade auf.
„Das ist die Erklärung!“
Fragend zuckte Leonard mit den Schultern.
„Das hier ist Than Mon thit , das neue Than Mon“, erklärte sie. „Es gibt ein altes Dorf. Haung bedeutet alt. Als sie irgendwann diese neue Siedlung hier gründeten, haben sie einfach den Namen übernommen. Aber haung , das ist das ursprüngliche, das eigentliche Than Mon. Es ist nur in Vergessenheit geraten. Dort oben lebt bloß noch eine Handvoll alter Leute.“
„Das Grab ist in dem alten Dorf!“, stieß Leonard aus.
Der Junge plapperte weiter und Ellen übersetzte.
„Man kann nur zu Fuß durch den Dschungel hinauf. Es liegt einen halben Tagesmarsch von hier.“
„Kann er uns hinführen?“
„ Na sae. Dollar“, sagte der Junge und spreizte zwei Finger.
„Zwanzig“, übersetzte Ellen.
„Biete ihm das Doppelte, wenn wir sofort aufbrechen.“
Auch Arundhavi dürfte von dem alten Than Mon erfahren haben. Seinen Vorsprung schätzte Leonard auf knapp zehn Stunden. Es galt, keine Minute zu verlieren. Ein weiterer Grund hielt zur Eile an. Zweifellos sickerte die Nachricht von der Ankunft der Fremden und dem mysteriösen Vorfall auf dem Friedhof bereits ins Tal. Jede Minute konnte das Militär auftauchen.
Mit einem besorgten Gesichtsausdruck reagierte Ellen auf die Antwort des Burschen.
„Er sagt, heute geht es nicht mehr. Wir kommen in die Dunkelheit. Zu gefährlich, nachts im Dschungel, meint er.“
„Morgen“, stimmte Nini zu. „Sehr gefährlich nachts.“
Ihre alltägliche Welt bevölkerten schon zahllose Ungeheuer. In der freien Natur, zumal in der Nacht, lauerte das absolute, unsagbare Grauen.
„Hundert!“, sagte Leonard und malte die Zahl mit dem Zeigefinger in seine Handfläche.
„ Taya.“
Der Bursche willigte sofort ein, als Ellen ihm das Angebot nannte. Ihn befielen dieselben Ängste wie Nini. Die nackte Zahl verscheuchte einen guten Teil davon.
Sie versorgten sich mit Proviant und einer gebrauchten Taschenlampe. Die kurze Zeit bis zum Aufbruch verbrachte Nini vor einem Schrein. Er klemmte in dem gespaltenen Stamm eines abgestorbenen Baumes und enthielt eine Gruppe bunt gekleideter Figürchen. Nur wenige davon besaßen erkennbar menschliche Gestalt. Weder konnte Leonard sie dem Buddhismus zuordnen, dem Nini ihrem Vernehmen nach anhing. Noch hatten sie etwas mit dem Christentum zu tun, dem die meisten Bewohner dieser Berge angeblich folgten. Das burmesische Mädchen kniete davor, entrückt, den Oberkörper geneigt, die Hände über den Kopf erhoben, eine imaginäre Opferschale darbietend. Die bildhafte Darstellung der Worte Mohan Mahangirs. Hier überlebten, trotz aller Einflüsse der Moderne, uralte Mythen.
    „Was sie alles mitmachen muss “, sagte Ellen mitfühlend, als der Urwald sie verschluckte. „Sie wäre glücklich gewesen, eine einfache Dienerin zu sein. Ein wenig kochen, waschen, Hausarbeit eben. Und wir jagen sie von einem Schrecken in den nächsten.“
„Sie ist bewundernswert. Ihre Treue ist stärker als ihre Furcht. Eine seltene Eigenschaft.“
Im Rest des Tageslichtes kamen sie zügig voran. Selbst als die Dunkelheit über sie hereinbrach, verminderten sie das Tempo kaum. Sie würden noch in der Nacht das alte Dorf erreichen, dachte Leonard. Wenn alles gut ging.
Es ging alles gut, bis sie einen gerade handtuchbreiten Grat erreichten, der einen Steilhang entlangführte. Ausgerechnet dort stellte die altersschwache Taschenlampe ihren Dienst ein.

Kapitel 50
    Bei seiner Ankunft im alten Than Mon dunkelte es bereits. Die Greise, die Arundhavi an einer Feuerstelle traf, vertrösteten ihn auf den Morgen, um ihm die Gräber zu zeigen. Es gab keinen Strom, niemand besaß eine Taschenlampe oder eine Petroleumlaterne. Nur drei Kerzen stellte man ihm zur Verfügung und die enge Kammer in der Hütte des Dorfvorstehers. Ungeduldig wartete Arundhavi auf den Tagesanbruch.
Grimmig dachte er an die beiden Männer, die er im Gebüsch hinter dem Friedhof versteckt hatte. Das

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