Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
tags zuvor zeigte Nini die gleiche Verbissenheit. Aus schierer Angst, eine weitere Nacht in diesen monströsen Bergen verbringen zu müssen. Lange, schweigsame Stunden führte sie der Weg ostwärts, durch mutraubende Eintönigkeit, Hitze, Staub, den gewellten Kamm zur Linken. Hinter steilen, unüberwindlichen Höhen ragte er auf, weigerte sich, auch nur einen Meter näherzukommen. Um die Mittagsstunde erreichten sie endlich ein Seitental, das stetig ansteigend, Richtung Norden abzweigte. Widerstandslos ergaben sie sich der einmal gefällten Entscheidung. Sie schritten bergan, bis das Tal sich in einen natürlichen Passweg verwandelte, der nun immer steiler hinaufführte. Loses Geröll erschwerte den Aufstieg, die Schmerzen in den Waden wurden unerträglich, ihr Schritt unsicherer. Abschnittsweise kamen sie nur noch kriechend aufwärts oder zwängten sich durch enge Felsdurchlässe.
Den Frauen vorangehend arbeitete Leonard sich vor. Schweiß lief ihm in die Augen und erschwerte die Sicht. Sein linkes Bein rutschte auf dem Geröll ab, instinktiv fasste er nach vorn, griff einen Felsen. Doch das lockere Gestein gab nach. Er fiel nach hinten, knallte mit dem Rücken gegen eine Wand und versuchte, einen Felsvorsprung zu greifen. Vergeblich. Weiter abrutschend stieß er die hinter ihm gehende Ellen zur Seite. Dann fiel er flach auf die abschüssige Bahn. Knirschend zerbrachen die Plastikflaschen in seinem Rucksack, die Flüssigkeit drang durch die Kleidung. Auf dem Rücken abwärts rutschend stemmte er sich mit den Füßen in den Grund, bis er endlich Halt fand.
Der Sturz brachte ihm lediglich Kratzer ein, um die er sich nicht kümmerte. Besorgt öffnete er den Rucksack. Zwei Flaschen konnte er nur noch völlig zerknickt bergen, die letzte, in der Mitte zerbrochen, enthielt noch einen Rest. Das übrige Wasser versickerte im Boden oder verdunstete in der Gluthitze aus seiner Kleidung. Keiner sprach ein Wort. Alle wussten, was es bedeutete. Leonard verteilte das restliche Wasser unter ihnen.
Danach kniete Nini sich hin, hob die gefalteten Hände an die Stirn und begann, vor sich hinzumurmeln. Ellen und Leonard verstanden die Worte nicht, doch ihr Klang und Ninis stiller Ernst verdeutlichten, dass sie keine Hilfe erflehte. Sie flüsterte eine Totenklage. Drei Tage ohne Wasser, geschwächt vom Nahrungsmangel, bedeutete den sicheren Tod in dieser Hölle. Nur der Wille, zu überleben, der jeden klaren Gedanken verscheuchte, zwang Ellen und Leonard wieder auf die Beine. Aus Furcht, sie würde sich unbemerkt zum Sterben niederlegen, bugsierten sie Nini in die Mitte.
Zwei erbärmliche Stunden krauchten sie bergan, die furchtbaren Gedanken verdrängend, was sie am Gipfel vorfinden würden. Die Ahnung, es könnte wieder nur das Schreckensbild der Ödnis sein. Denn dieses konnten sie kein weiteres Mal ertragen. Mit letzter Kraft überwanden sie einen letzten, widerwärtigen Felsvorsprung. Dahinter fielen sie atemlos auf den Boden. Als sie sahen, was sie erwartete, zweifelten sie an ihrem Verstand.
Wie plan geebnet streckte sich vor ihnen ein Plateau, schmal und lang wie zwei Fußballfelder. Auf der Stirnseite begrenzt von einem spitzen Felskegel, auf der anderen von einer senkrecht abwärts führenden Wand. Jenseits davon das trostlose Bild, das sich nun seit zwei Tagen in ihre Netzhaut brannte. Und in der Mitte des Plateaus brütete ein kolossaler, stumpf brauner Vogel.
„Was ...?“, krächzte Ellen aus ihrer trockenen, schmerzenden Kehle hervor.
Das Ding ergab hier oben ebenso viel Sinn wie ein Schneepflug in der Sahara. Eine zweimotorige Bristol Blenheim , ein Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Ellen krallte sich in Leonards Schulter.
„Bitte sag, dass es da ist.“
„Es ist da“, antwortete er schwach. „Weiß Gott. Das ist es.“
Das Flugzeug hätte er noch in das Reich der Wahnvorstellungen verbannt. Nicht aber den Mann, der im Schatten unter dem rechten Flügel stand und gegen das Bugrad pinkelte. Im nächsten Moment wandte er ihnen sein Gesicht zu. Er stierte herüber, als hätte er Außerirdische entdeckt. Dann stopfte er hastig sein Geschlecht in die Hose, griff an seine Hüfte und hielt plötzlich einen Revolver in der Hand. Vorsichtig näherte er sich, die Waffe nach vorn gerichtet, den Kopf vorgeschoben. Schon nach wenigen Schritten kam er zu der Überzeugung, dass keine Gefahr bestand. Seine Züge entspannten sich und er steckte den Revolver wieder ein.
„´N verflucht seltsames Plätzchen habt ihr euch
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