Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

„Schau dir das hier mal an.“
„Es beschreibt einen Schmiedevorgang“, sagte Ellen, die Inschrift daneben übersetzend. Die beiden Männer stellen einen Schlüssel her. Der einmal die Träne des Schwarzen Buddha trägt. “
Überrascht sah sie auf.
„Das ist der Schlüssel, den Thian-o-Lis Schmied der Legende nach anfertigte. Es ist wahr. Er ist hier hergestellt worden, in diesem Tempel.“
„Das Auge der Dunkelheit? Du sagtest, der Kris ist in diesem Kulturkreis unbekannt.“
„Ja, richtig. Hier ist auch von einem Phurbu die Rede.“
„Ein anderes Wort für Kris?“
„Nein. Aber es ist auch ein ritueller Gegenstand, auch ein Dolch. Mit einer viel kürzeren Klinge. Er stammt aus Zentralasien. Man findet noch welche in Tibet und in der Mongolei. Dort werden sie als Dämonenbanner bezeichnet.“
„Okay. Wie wir wissen, befindet sich die Träne aber am Griff des Kris.“
„Ja, das stimmt schon. Aber es ist eben dieser Griff, dieser viergesichtige Dämon. Mir ist daran früher schon mal eine Unstimmigkeit aufgefallen. Warte.“
Den nebeneinander aufgereihten Inschriften folgend, arbeitete sie sich an der Wand entlang.
„ Soll er am Ort seiner Bestimmung wachen über den Reichtum, der uns gegeben . Und dies soll Pukam sein.“
„Ist das hier Pukam?“
„Nein“, antwortete Ellen und legte Stirn in Falten. „Denn wir waren schon dort. Pukam ist die alte Pyu-Bezeichnung für Bagan.“
„Ich dachte, der Thammuyiangi in Bagan wäre der ursprüngliche Tempel und dann haben sie ihn aufgegeben und sind hierhin geflohen.“
„Darüber kann ich hier nichts finden. Hier heißt es nur, er soll alle dreißig dunkle Monde heimkehren, auf dass seine Macht erhalten wird .“
Sie wies in die Mitte des Raumes.
„Dieses komische Taufbecken da. Es diente dazu, den Dolch rituell zu reinigen, damit seine magischen Kräfte erneuert werden konnten. Das geschah offenbar regelmäßig. Jeden dreißigsten Neumond. Dies scheint der einzige Zweck dieses Tempels gewesen zu sein.“
Mit einem Seufzer stieg in Leonard das Bild des englischen Offiziers auf. Auch er hatte sich bis hierher durchgekämpft, stand in diesem kargen Raum, nur um festzustellen, dass ihn alles in die Irre führte. Conleys Enttäuschung, mit leeren Händen dazustehen, fiel ebenso maßlos aus wie seine eigene.
„Auch dies ist nicht der Ort, auf den das Auge der Dunkelheit zeigt. Aber wie hängt das alles zusammen?“
In die Mutlosigkeit, die ihn zu erdrücken begann, platzte wieder ihre Stimme.
„Hör dir das an. Hier wird ein großes Unglück erwähnt, angekündigt durch das Erlöschen eines Sterns. Im Jahr 1388.“
„Die Prophezeiung, die wir auch in Bagan gefunden haben.“
„Die Katastrophe wird nicht näher bezeichnet, aber hier steht, dass sie eine neue Heimat gefunden haben. ... s eine Kraft schwindet und er dort aufgehen soll in der Mitte des Anderen, dessen Herz von den Sternen stammt, und so soll das Licht heller strahlen als zuvor.“
„Warum müssen die sich ständig so verzwirbelt ausdrücken?“
„Gib mir die Zeichnung, Leonard. Die von dem Kris.“
Ellen zeigte ihm die wie verunglückt wirkenden Linien im oberen Drittel der Klinge.
„Das ist keine missglückte Maserung. Sie sind eins. Der Phurbu steckt in dem Kris. Aufgehen in der Mitte des Anderen. Um seine Kraft zu vergrößern, haben sie den alten Dolch umgeschmiedet.“
Das Gespräch mit Runciman und Mister Mahangir klang plötzlich laut in Leonards Ohren.
„Mit dem Herz kann nur die Klinge gemeint sein. Man sagte mir, die mächtigsten dieser Dolche werden aus dem Erz von Meteoriten geschmiedet. Das ist es, was von den Sternen stammt.“
„Jetzt verstehe ich auch dieses dreizackige Sternsymbol. Eine Phurbuklinge ist im Gegensatz zu anderen Dolchen dreifach gekerbt. Stößt man sie zum Beispiel in Holz, so erzeugt es einen solchen, dreizackigen Einstich. Darauf hat Stern schon immer hingewiesen. Das Auge der Dunkelheit ist einst ein Phurbu gewesen.“
„Das Abbild der neun Sterne auf seiner Klinge bezieht sich dann auch auf seine alte Herkunft.“
„Genau das hätte mir schon früher auffallen sollen. Die viergesichtige Fratze ist eine typische Griffgestaltung mongolischer Dämonenbanner. Dies und der diamantähnliche Stein sind die beiden einzigen Elemente, die bei der Weiterverarbeitung erhalten blieben.“
„Verdammt, das ist die Lösung!“
Gleich darauf dämpfte Leonard seine eigene Euphorie. „Jedenfalls ein Ansatz. Es gab zwei Dinge, die mir