Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
schlagkräftigste Armee entgegen. Ihren Kampf finanzierte mit Heroinhandel. Das Grenzgebiet zu Thailand, in dem sich die größten Opiumanbaugebiete Südostasiens befanden, war fest in der Hand der Shan United Army. Oder Muang Tai , wie sie sich seit längerem nannte. Über zehntausend mit modernsten Waffen ausgerüstete Krieger. In dem gesetzlosen Land war jeder ihrer Willkür ausgesetzt. Sogar mit den thailändischen Grenztruppen legten sie sich an, um ihre Handelswege zu schützen. Zu allem Überfluss mischten dort noch verdeckte Einsatzkräfte der burmesischen Regierung mit, unterstützt von der amerikanischen Drogenbehörde DEA. Die meisten, die verrückt genug waren, sich dort hineinzutrauen, sah man nie wieder. Zu den letzten Opfern gehörten drei französische Journalisten. Sie gingen bei Thaton über die Grenze. Man hörte nur noch das Gerücht, der General der Muang Tai Army habe sie persönlich mit einen Genickschuss getötet.
Die einzige Option . Außer dieser blieben nur Hunderte von Meilen Gewaltmarsch durch das unbesiedelte Gebiet des östlichen Himalaya. Auf den Höhen herrschte Winter, ein unbezwingbarer Gegner. Der Irrgarten der braunen Mondlandschaft, in die sie Kavenay verschleppt hatte, war nur ein Vorgeschmack auf diese Hölle.
Nini fing an zu wimmern. Die Chin-Kämpfer hatten sie zunächst beruhigen können mit dem Versprechen, sie würden keine Frauen entführen. Das sei nur eine Propagandalüge. Aber ihr Gesicht spiegelte eine andere Angst.
„Was ist mit dem Mädchen?“, fragte der Anführer.
„Sie stammt aus dem Delta“, antwortete Leonard. „Soweit ich ihre Geschichte kenne, erwartet sie dort keine rosige Zukunft.“
Wie Ellen wollte er sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Und ähnlich wie zuvor mit Ellen, verband sich Nini nun mit ihm. Weniger, weil er ihr Leben gerettet hatte im Getöse der Steinlawine. Der Grund lag in dem Wetterleuchten ihres Lächelns, als er sich entschlossen hatte, Arundhavi zu verschonen. Leonard ahnte, er würde Nini mehr brauchen als sie ihn.
„Wir werden zusammen gehen.“
Das Grüppchen Aufständischer brachte sie auf verschlungenen Pfaden in das Tal des Chindwin. In einem Versteck warteten sie vier Tage auf ihre erste Fahrgelegenheit. Die nächsten zwei Wochen führten sie das Leben lichtscheuer Nachtgeschöpfe, verborgen in Hohlräumen, hinter Reissäcken, Ballast, zwischen dem Gepäck auf dem Dach schaukelnder Gefährte. Krochen erst lange nach Einbruch der Dunkelheit hervor, stets abseits der Ortschaften unter freiem Himmel. Ihre einzige Gesellschaft waren die mutigen Männer und Frauen, die sich ihrer annahmen. Die ihnen Gastfreundschaft gewährten in einsamen Hütten, Feldlagern und Bauerndörfern. Sie trieben auf Flößen über stille Gewässer unter dem Sternenhimmel oder hockten Tage im Halbdunkel, neben dröhnenden Motoren, in engen, nach Benzin stinkenden Kammern. Wann immer ihr Fahrzeug hielt, spürten sie, wie Herz und Lunge ebenfalls zum Stillstand kamen, gepackt von der Angst, entdeckt zu werden. Bis das aufgeregte Schnattern unsichtbarer Gestalten um sie herum endete und man die Fahrt fortsetzte.
Ihre Verstecke verwehrten ihnen jeden Blick auf das Land, das sie durchquerten. Ihr Bild davon gestaltete sich durch Worte, Geschichten der Menschen, die ihnen in der Nacht begegneten. Deserteure, Flüchtlinge aus den Grenzgebieten, Oppositionelle, die auf den Todeslisten des Geheimdienstes standen. Abenteurer, die am Oberlauf des Irrawaddy Krümelchen Gold aus den Fluten wuschen oder seinen Grund nach der Fracht gekenterter Schmugglerboote absuchten. Häufiger als diese aber waren es einfache Menschen, die das Wenige teilten, das sie besaßen. Und sei es nur die Wärme eines aufmunternden Gespräches, voller Hoffnung, dass bessere Zeiten anbrechen mögen.
Am fünfzehnten Tag ihrer Reise, die sie als lebende Gepäckstücke durchlitten, wurden sie in der Nähe von Mong Nin abgesetzt. Den unscheinbaren Ort umgaben bis zu zweitausend Meter hohe Berge, die Höhen waldbedeckt, die niederen Lagen und die Täler üb erzogen mit Feldern und Weiden. Die Hütte des Fahrers, der sie herbrachte, krallte sich in einen Hang, umgeben von gelb blühenden Feldern. Mit der Warnung, das Grundstück nicht zu verlassen, verschwand der Fahrer wieder. Die von seinem Wagen aufgewirbelte Staubwolke blieb für zwei Tage das einzige, was sich in der Umgebung bewegte.
Sie verfügten über ausreichend Nahrung und gönnten sich ausgiebige Duschen mit Wasser, das sie
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