Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
Vom Netzwerk:
es ihrerseits mit der Bezeichnung Malaie taten. Der Chinese war der einzige Konkurrent am Ort. Bang Tuas Gasthaus verdiente nur die Bezeichnung Bruchbude. Zog es eine Touristin vor, „drüben beim Chinesen“ zu übernachten, lag das für ihn jedoch nur daran, dass ihr Geld nicht reichte, um sich seine Dienste leisten zu können.
„Weil Sie der einzige orang putih hier sind, hab ich ihr von Ihnen erzählt. Sie war sehr überrascht. Sie sagte, sie kennt einen Martin Ryland. Aus Seattle. Sie sind doch aus Seattle, oder?“
Leonard brachte gerade genug Kraft auf, den Fluch zu unterdrücken.
„Sie freut sich, Sie wiederzusehen. Miss Nemsky wollte heute herüberkommen.“
Eine einzige dämliche Touristin verirrt sich in dieses Kaff am Arsch der Welt auf, dachte er grimmig. Und ausgerechnet die kannte den Mann, mit dessen Namen er reiste.
Er schüttete sich das halbe Bier hinein. Der höllisch niederprasselnde Regen verschaffte ihm noch Zeit. Kein Hund ging bei dieser Sintflut vor die Tür. Aber was konnte er tun, um ihr aus dem Weg zu gehen? Wann der Regen aufhörte, wann sie endlich weiterkommen würden, ließ sich nur schwer abschätzen.
„Ungewöhnlich für diese Jahreszeit.“
Mit dieser Bemerkung setzte sich der weißhaarige Chinese zu Leonard an den Tisch und stellte eine Tasse Tee darauf ab. Hartnäckig untersagte er jedem, ihn Meister Sen zu nennen. Seiner Meinung nach verdiente er diesen Titel nicht länger. Immer noch litt Sen unter der Schuld, im Dienste eines Massenmörders gestanden zu haben. Er kannte nicht das ganze Ausmaß von Chan Khuos kriminellen Machenschaften. Aber er gab zu, über das wenige Offensichtliche leichtfertig hinweg gesehen zu haben. Verblendet, wie er sagte, von dem Wunsch, das Rätsel zu lösen. In Tong Sas Dschungelcamp war die Verblendung erloschen, der Wunsch blieb. Und seitdem war er für den Rest der Welt einfach nur noch Mister Sen. Als äußeres Zeichen legte er seine seidenen Roben ab und kleidete sich nun in eine schlichte Baumwollmontur aus schlabberiger Hose und Jacke.
Er schlug sich eine Decke um die Schultern. Färbten die dichten Wolken den Himmel schwarz, fiel die Temperatur innerhalb von Minuten um zehn Grad oder mehr. Der Rest ergab immer noch einen angenehmen, europäischen Frühlingstag. Nach Monaten in tropischer Hitze fühlte es sich wie der beginnende Winter an.
„Sie sagen, es klart morgen auf“, fügte Sen hinzu.
„Es gibt Schwierigkeiten. Es ist jemand aufgetaucht, der mich kennt. Der Martin Ryland kennt, meine ich.“
Sen kannte Leonards Situation. Seit dem Aufenthalt in Thailand hatten sie keine Geheimnisse voreinander. Fast keine. Leonard überlegte, ob sie das zu Freunden machte.
Bang Tua servierte Leonard eine frische Flasche Bier und nickte Sen freundlich zu. Chinesen, die bei ihm wohnten und bezahlten, fanden bei ihm mehr Gnade. Dann bestätigte er, was schon Sen zuvor angedeutet hatte. Im Laufe der Nacht würde sich die Unwetterfront Richtung Norden verziehen. Am nächsten Tag könnten sie ihre Reise fortsetzen.
„Ich habe einen Führer für Sie gefunden“, sagte er dann. „Ein junger Dayak. Sehr klug. Ist in Miri zur Schule gegangen. Kann englisch. Und den Dialekt, den sie in den Bergen sprechen.“
„Klingt gut.“ Leonard bedankte sich. „Schicken Sie ihn so schnell wie möglich vorbei.“
Die Reise ohne Führer anzutreten, wagte nicht einmal Leonard. Der Weg führte zunächst zwei Tage den Fluss hinauf Richtung Osten. Von dort kamen sie nur noch zu Fuß weiter, durch den dichten, dampfenden Dschungel. Ihr nächstes Ziel, das sie vermutlich erst in einer Woche erreichen würden, lag in der Nähe der Grenze zu Indonesien. Ein Dorf der Dayak, die noch nach traditioneller Weise lebten. Bis in die vierziger Jahre hingen sie der Kopfjagd an. Vielleicht noch heute. Zumindest konnten die Dschungelbewohner dort, das legte Sens Geschichte von den beiden deutschen Forschern nahe, mit Giftpfeilen umgehen.
Der Regen dünnte aus und Leonard überlegte, ob es besser sei, sich bis zur Abreise auf dem Zimmer zu verstecken. Zu spät.
„Hi!“
Die Amerikanerin hüpfte die Stufen zur Veranda hinauf und schwang einen Plastikponcho von den Schultern, mit dem sie sich vor dem Regen schützte. Sie war durchtrainiert, um die dreißig Jahre alt, braun gebrannt. Der schlanke Körper steckte in blauen Shorts und einem T-Shirt mit dem Aufdruck einer thailändischen Urlaubsinsel, Koh Samui. Das Abbild der Insel wurde gedehnt von mächtigen Brüsten,

Weitere Kostenlose Bücher