Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Haus zu, in dem auch der tuai wohnte. In kürzester Zeit umringte sie das gesamte Dorf, schwirrte wie ein Bienenschwarm um sie herum, schwatzend und schnatternd. Die Kinder liefen nackt oder in Shorts umher, die Männer trugen schlichte Hosen und Hemden, manche T-Shirts, die Frauen schmucklose Röcke und Blusen. Kleidung, die aus den Malaien-Siedlungen stammte. Das Dorf unterhielt sporadischen Kontakt zur Außenwelt. Leonard entdeckte Spitzhacken, Beile, Schaufeln, Ölfässer, die als Regentonnen dienten, blechernes Kochgeschirr. Und ein Detail, das diesen Anflug von Zivilisation mit einem Schlag hinwegfegte. Ihm Schatten unter dem Verandadach des Haupthauses baumelten in Rattankörbe gesteckte Schrumpfköpfe. Schwarz geräuchert, Augen und Münder mit grobem Zwirn zugenäht. Drei davon sahen frisch aus.
Der tuai erwartete sie bereits. Mit einer Handbewegung lud er sie ein, auf der Veranda vor dem Eingang seines Wohnbereichs Platz zu nehmen. Aus einem Tonkrug bot er ihnen selbst gebranntem Schnaps an, ein sicheres Anzeichen, dass man sie als willkommene Gäste begrüßte. Verstört durch die unverhohlene Neugier ihrer Gastgeber drängelte sich Nini dicht an Leonard heran. Ohne Scham berührten diejenigen, die sich zu ihnen auf die Veranda setzten, die Fremden an Armen und Beinen, zupften an den Haaren.
„Weiße bekommen sie nur selten zu Gesicht“, sagte Manao. „Und Frauen wie Nini kennen sie auch nicht.“
Die zierliche Gestalt des burmesischen Mädchens überragte selbst die größte der Dayak-Frauen um ein gutes Stück. Manao überreichte dem tuai die Gastgeschenke, mit denen sie sich in Sungai Petani eingedeckt hatten. Ein Jagdmesser, Tabak, billige Feuerzeuge. Das Oberhaupt verteilte sie an die anwesenden Männer. Von seiner Verarbeitung beeindruckt behielt er das Jagdmesser für sich.
Rasch verflüchtigte sich die angespannte Atmosphäre und machte lärmiger Heiterkeit Platz, vom Schnaps entzündet. Nini kostete nur den Anstandsschluck. Als Mann sah sich Leonard genötigt, bei jeder Runde mitzutrinken. Durch die Strapazen der vergangenen Tage entkräftet, versetzte ihm das trübe Gebräu wahre Keulenschläge. Nach Einbruch der Dunkelheit ging die fröhliche Begrüßung in ein Festessen über, das zu Ehren der Gäste veranstaltet wurde. Der Klarheit seiner Sinne beraubt, ergab sich Leonard dem Gelage. Den Grund ihres Besuches zu erklären, verschoben sie auf den folgenden Tag.
Kapitel 60
„Haben sie uns gestern gekochten Affen untergejubelt?“, fragte Leonard, nachdem er sich im Fluss ein ausgiebiges Morgenbad gegönnt hatte.
„Und geröstete Insekten“, sagte Nini lachend. „Das andere nicht wollt wissen.“
Die Unterhaltung mit dem tuai kam nur schleppend in Gang. Auch zum Frühstück stellte er wieder Schnaps bereit. Erst nach langem Palaver akzeptierte er Leonards Ablehnung und gab sich mit der Erklärung zufrieden, ihre Religion verbiete ihnen den Genuss von Alkohol am Morgen. Der bedauernswerte Manao, selbst ein Dayak, besaß keine Ausrede. Regelmäßig wanderte der Becher vom tuai über zwei Männer, die an der Unterhaltung teilnahmen, in seine Hände.
„Was ist mit den Danah Oth?“, drängte Leonard.
Kurz tuschelten die drei Dayak miteinander, und die Antwort bestand in einem heftigen Kopfschütteln des Oberhauptes.
„Mir scheint, er hat Angst, darüber zu sprechen. Vielleicht ein Tabu.“
Nini lehnte sich vor.
„Orang bunian. Di hutan. Ulu.“
Wild mischte sie die Brocken malay , die sie aufgefangen hatte. Die drei Eingeborenen verstummten und glotzten sie an. Leonard fürchtete, sie hätte eine Regel verletzt. Im Mienenspiel der Männer war keine Regung abzulesen. Die Schrumpfköpfe grinsten ihn an.
„Übersetze orang bunian “, wies er ihren Führer an.
Manao zögerte keine Sekunde und im nächsten Moment stieß der tuai ein abgehacktes Lachen aus, in das die anderen beiden einstimmten. Dann plapperte er auf Manao ein, mit beiden Armen ausladende Gesten vollführend. Mehrmals wiederholte er dabei einen Ausdruck: anek atao .
„Es funktioniert“, sagte Manao, als der alte Dayak eine Pause einlegte. „Wahrscheinlich ist es pali, über die Danah Oth zu sprechen. Fragt man aber nach den Unsichtbaren , den orang bunian , ist es kein Problem.“
Er hörte wieder eine Weile den Ausführungen des tuai zu.
„Er sagt, es gibt dieses unsichtbare Volk. Südlich von hier. Die Gegend nennen sie die Sehenden Wälder. “
„Sehende Wälder?“
„Eine alte Sage. Es ist eine
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