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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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geschnitten, das Gesicht von entsetzlichen Narben verunstaltet, die wurmartigen Lippen zu einem ewigen Schrei auseinandergerissen. In den Augenhöhlen saßen schwarze, geschliffene Kiesel. Wie bei ausgestopften Tieren verliehen sie der fleischlosen Leiche einen lebhaften, böswilligen Ausdruck, als beobachtete sie aufmerksam die Umgebung. Beide Oberarme lagen am Körper, die Unterarme vorgestreckt, die Hände zur Abwehr erhoben. Die Körperhaltung ähnelte den Figuren am oberen Ende der Bannpfähle. Auf eine grauenvolle Weise vermittelten die Narben des Toten den Effekt einer Schnitzarbeit.
„Es sieht aus, als sei dieses Ding darin geboren worden“, flüsterte Leonard. „Als wollte es aus diesem schwarzen Ei herauskriechen.“
Seine Entdeckung löste Manao aus dem Schrecken.
„Es zeigt tatsächlich den Weg! Der Körperstellung nach soll der Tote jeden davon abhalten, den Bach zu überschreiten.“
Er zeigte den gegenüberliegenden Hang hinauf.
„Das Wasser markiert die Grenze. Irgendwo da drüben in dem Dickicht geht es weiter.“
Stumm wiederholte die bösartige Mumie die Warnung des tuai .
Jeder, der an mir vorbei geht, ist für die Welt der Lebenden verloren.
Leonard sprach aus, was die anderen befürchteten.
„Wir müssen weiter.“
Entschlossen trat er zwei Schritte in das flache Bachbett, überschritt diese letzte Grenze. Die beiden anderen zögerten. Im Angesicht der feindseligen Vegetation, die sie von allen Seiten umschloss, zeigte Manao ein erstes Zeichen von Resignation.
„Wohin führt uns das? Soweit ich das verstanden habe, sind diese Danah Oth Nomaden. Sie haben keine festen Wohnplätze. Sie können überall und nirgends sein. Und wie wollen Sie hier das Grab eines Mannes finden? Wie wollen Sie hier überhaupt irgendetwas finden?“
Leonard verharrte auf der Stelle. Wie viele vor ihm waren in das Unbekannte, Unentdeckte aufgebrochen? Oft genug auf der Suche nach Verheißungen, die nur in ihrer Vorstellung existierten. Er aber wusste, dass es existierte. Seit sie Sungai Petani verlassen hatten, stellte sich für ihn nicht mehr die Frage, wie er es finden würde, sondern nur noch, wann.
Nini las seine Gedanken. Er würde gehen, wenn nötig, auch allein. Entschlossen nahm sie ihren Rucksack auf, ignorierte den grauenvollen Wächter und stellte sich Leonard zur Seite. Mit einem schicksalsergebenen Seufzer ergriff Manao das übrige Gepäck und folgte ihnen in das Land der Unsichtbaren .
Mühsam hackten sie sich den Hang aufwärts durch das widerspenstige Gewächs, das sie bald tunnelartig überwölbte. Als Führer nützte Manao ihnen nicht mehr. Selbst ein Fremder in diesem Land übergab er bereitwillig dem Engländer die Spitze. Schon nach kurzer Zeit fand Leonard in dem tauben Halbdunkel ein schmales Band festgetretenen Grundes.
„Der Pfad der Danah Oth.“
Woher der Weiße diese Sicherheit nahm, blieb Manao ein Rätsel. Am Rand des Pfades wuchsen Gebilde aus Blättern und Aststückchen aus dem Grund, von Menschenhand arrangiert.
„Es sind Hinweise“, erklärte Manao. „Eine Art Kommunikationssystem. Alle Dschungelbewohner tauschen auf diese Weise Informationen aus. Auch die Dayak.“
„Was bedeuten sie?“
„Ich kann nur raten. Sie sind anders als bei meinem Volk.“
Diesen Ausdruck der Zugehörigkeit benutzte er zum ersten Mal.
„Es kann alles Mögliche sein. Wo eine Versammlung stattfinden wird. Oder wo zum letzten Mal ein bestimmtes Wild gesichtet wurde. Es sieht einfach aus, aber die Informationen können sehr komplex sein. Manche dieser Dinger weisen auch auf eine unmittelbare Gefahr.“
Wieder überfiel Leonard das Gefühl, beobachtet zu werden.
„Vielleicht sind sie für uns!“
Verunsichert horchten sie in die Stille. Nur manchmal hörten sie das Kreischen eines Tieres, weit entfernt, wie aus einer anderen Welt. Stumm, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, schlichen sie weiter voran. Entweder wurde der Pfad ständig benutzt, oder er war erst kürzlich angelegt worden. Andernfalls wäre er längst wieder überwuchert. Sie plagten sich weiter den Hang hinauf. Überall stellten sich den Augen Hindernisse in den Weg, in jeder Richtung. Es erzeugte in ihnen das Gefühl, Gefangene dieser Wildnis zu sein.
    Sie standen unvermittelt da, ohne sich durch eine Bewegung oder ein Geräusch zu verraten. Als seien sie aus einer anderen Dimension materialisiert. Acht grimmige Gestalten, ungewöhnlich hochgewachsen für Dschungelbewohner, jeder mit einem Wurfspeer

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