Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Persönlichkeiten der Singapurer Geschichte und beäugten ihn, als missbilligten sie sein Vorhaben.
Nur kurz überdachte Leonard die drei Möglichkeiten, die Tür zu öffnen. Mit dem Schlüssel, den feinen Instrumenten eines Einbrechers oder mit roher Gewalt. Für die beiden ersten fehlten ihm die Mittel. Er benötigte drei Anläufe, bis der Rahmen mit dumpfem Knacken nachgab. Davon, was er suchte, besaß Leonard keine klare Vorstellung. Doch der Raum sagte ihm, wo es zu finden war. Das Zimmer glänzte in einer übernatürlichen Ordnung, als wäre es gar nicht bewohnt. Mit einer einzigen Ausnahme. Die Mitte des Raumes beherrschte ein wuchtiger Tisch. Darauf bildeten aufgeschlagene Bücher, Notizzettel, Zeichnungen und ein Foto ein wirres Durcheinander. Schon beim Näherkommen verkrampfte sich Leonards Magengrube.
Dieser Bastard.
Bei der Fotografie handelte es sich jene, die Mahangir Stunden zuvor hatte anfertigen lassen und die ihn in diese heillose Verwirrung gestürzt hatte. Das Bild zeigte die Tätowierung auf dem Rücken des toten Schmiedes. Wie oder wann Mahangir das Foto hatte machen können, blieb Leonard verschlossen. Andererseits, eine Minox 8x11 passte in eine Handfläche. Aber was daran hatte den Malaien auf der Straße so aus der Wirklichkeit gerissen? Abscheu überwindend betrachtete Leonard die Aufnahme des auf den Bauch gedrehten Mordopfers. Ihn fröstelte, als er es entdeckte.
Nur der Schmerz bremste Chan Khuos Zorn.
„Diese erbärmlichen Köter haben ihn entwischen lassen“, grunzte er. „Was ist mit seinen Sachen? Hast du dich erkundigt, ob das Palmblatt dabei war?“
Tan Pai, sein Sekretär, legte die leere Morphiumspritze beiseite und klebte ein Pflaster auf die Einstichstelle in Chans Armbeuge. Dann duckte er sich vorsorglich in Erwartung heftiger Schläge. Überbrachte er schlechte Nachrichten, machte er regelmäßig Bekanntschaft mit dem Gehstock seines Herrn.
„Ich bedaure zutiefst, mein Herr. Man hat nur persönliche Gegenstände bei diesem Finney gefunden.“
Mühselig griff Chan Khuo den Gehstock und stützte sich darauf. Tan Pais Anspannung löste sich. Dem Alten stand nicht der Sinn danach, das harte Holz auf seinen Rücken niedersausen zu lassen.
„Also trägt er es immer bei sich.“
Sorge dämpfte Chans Unmut.
„Weiß er um seine Bedeutung?“
Darauf erwartete er keine Antwort. Woher sollte sein Sekretär das auch wissen? Aller Wahrscheinlichkeit nach, dachte er, tappte der Engländer ahnungslos im Dunkeln herum.
„Aber er wird jetzt weiter herumschnüffeln.“
„Was kann er schon finden?“, sagte Tan Pai sanft. „Bedenkt, mein Herr. Seine Handlungsfreiheit ist eingeschränkt. Er hat keine Freunde in der Stadt, seit der unselige Doktor Pathom zu Tode gekommen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie ihn erwischen.“
Chans Beruhigung ging mehr von der Wirkung des Opiates aus, das sich schnell in seinem Blutkreislauf verbreitete. Seine Pupillen verkleinerten sich, der Mund trocknete aus. Er schnalzte mit der Zunge. Daraufhin half Tan Pai ihm, sich aus dem Stuhl zu erheben und begleitete ihn in den angrenzenden Raum. Darin befand sich das Allerheiligste, der Ahnenaltar des Khuo-Klans. In Abwesenheit des Hausherrn durfte sich niemand dort aufhalten.
Mit einer einzigen Ausnahme. Vor dem Altar wartete ein weißhaariger Kantonese. Meister Sen Hoa, Chans persönlicher Berater in spirituellen Dingen. Ein Mann, der den Großteil seiner Lebensjahre mit dem Studium fernöstlicher Mythologie verbracht hatte. Er besaß Kenntnis über Chang Shambala , der Quelle der antiken Weisheit. Seine Ohren hatten die geheimen Mantras aus dem bardo thodol vernommen. Und er drang tiefer als andere in die Prophezeiungen, die das Buch der Wandlungen dem Wissenden offenbarte. Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste bedeutete Chan seinem Sekretär, sie alleine zu lassen. Das Folgende war nicht für seine Ohren bestimmt.
Der weise Sen Hoa studierte die beiden Zeichnungen, die an der Wand links des Altars hingen. Sie gaben detailgetreu die Tätowierungen wieder, die Chan auf den Rücken seiner beiden letzten Opfer entdeckt hatte. Ein Rechteck aus feinen Linien, die eine geometrische Figur umschloss. Ein zweizackiges Gebilde mit dem Ansatz eines dritten Zackens. Zwei Symbole, ein liegender Halbmond und eine Flamme, verzierten das Gebilde. Ächzend nahm Chan auf einem Stuhl aus chinesischem Rotholz Platz. Neben ihm, auf dem mit Goldintarsien verzierten Altar, zwischen Schalen, die
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