Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Mönch ist, fress ich meinen Hut.“
„Und das Mädchen?“
„Raum 3. Sie ist nicht von hier. Aus einfachen Verhältnissen. Sie sagt, sie arbeitet als Hausangestellte. Behauptet, sie wär nur zur religiösen Unterweisung im Tempel gewesen.“
Die Nase rümpfend betonte der Constabler die Worte noch einmal: „ Religiöse Unterweisung. So redet doch kein Hausmädchen. Das hat ihr dieser angebliche Mönch eingetrichtert.“
Zustimmend brummelte Sung, womit er Anerkennung ausdrücken wollte. Hat einen Sinn für die Details, dachte er.
„Okay. Nehmen Sie sich das Mädchen mal richtig vor. Drohen Sie ihr mit der Ausweisung, wenn sie den Mund nicht aufmacht.“
Dann betrat Sung, von seinem Assistenten gefolgt, den Verhörraum 2.
Der Mann saß aufrecht, mit nacktem Oberkörper, die Hände hinter dem Rücken an den Stuhl gefesselt. Sung blinzelte, die Sinne verwirrt von den verschlungenen Linien einer Tätowierung, die den Rücken des Mannes bedeckte. An der linken Schulter erkannte er eine nur wenig verheilte Fleischwunde. Das Andenken seines Entführungsopfers, dachte Sung.
„DAS ist ein wenig übertrieben, Detective“, sagte er zu Chao und deutete auf die Fesseln.
„Von wegen, Chief. Er hat vier unserer Männer krankenhausreif geprügelt, bevor die anderen ihn überwältigen konnten. Vier!“ betonte er. „In weniger als dreißig Sekunden.“
Sung nahm dem Mann gegenüber Platz und belegte ihn mit seiner ausdruckslosen Verhörmiene. Der angebliche Mönch war älter als er selbst und bestand nur aus Muskeln. Dunkle Haut, mongolische Züge. Schwer einzuordnen. Sein kärglicher Besitz verlor sich vor Sung auf dem Tisch. Ein brauner Leinensack, ärmliches Essgeschirr aus Blech, ein flaches Plättchen, auf dem feine Linien eingeritzt waren. Sie ähnelten denen seiner Tätowierung. Der Sack enthielt spirituelle Gegenstände, die Sung eher bei einem Eingeborenen-Medizinmann vermutet hätte, darunter das Bildnis eines grauenerregenden Dämons. Das Ungeheuer trampelte auf menschlichen Schädeln herum, in zwei seiner unzähligen Arme hielt es Leichenteile, Blut troff aus dem reißzahnbewehrten Maul. Sein Constabler lag richtig. Kein buddhistischer Mönch schleppte solche Dinge mit sich herum. In dem Blechnapf entdeckte Sung ein paar Geldscheine, Singapur-Dollar und malaiische Ringgit. Seiner ersten Frage kam Detective Chao zuvor.
„Hatte einen malaiischen Pass. Auf den Namen Lojo Dalang. Ist zur Überprüfung.“
Sung taxierte den Gefangenen und unterdrückte einen Seufzer. Zwecklos, Fragen zu stellen. Sofort erkannte er, dass dieser Mann keinen Ton von sich geben würde. Für den Rest seines Lebens könnten sie ins dunkelste Loch werfen. Nie würde auch nur eine Silbe über seine Lippen kommen. Ihm blieb nur, den Mann zu Reaktionen zu verleiten, diese winzigen Signale, die so schwer auszumachen waren. Die Wahrheit von Lüge trennten. Unsicherheit in seinem Gegenüber zu erzeugen darüber, wie viel sie von dem wussten, was er hier in Singapur vorhatte. Nur so konnte er den Mann dazu bringen, einen Fehler zu begehen. Er nahm das Bildnis des Dämons und spielte quälende zwei Minuten damit herum. Dann entschloss er sich, gleich zu Anfang seine größte Kanone ins Blaue zu feuern.
„Das Auge der Dunkelheit!“
Ein minimales Zucken, oberhalb des Wangenknochens. Sung behielt seinen Triumph für sich. Egal, wie oder warum. Darum ging es. Wieder wartete er eine volle Minute.
„Es war völlig sinnlos, den Engländer zu foltern. Er hat nicht, was du suchst.“
Dass Sung diese Verbindung herstellen konnte, überrumpelte den angeblichen Mönch. Das Spielchen begann, unerwartet schnell Früchte zu tragen. Zu dem Spiel gehörte auch das alte good cop, bad cop. Leicht spreizte Sung einen Finger der rechten Hand ab. Ein Zeichen, das nur Chao verstand. Sein Detective löste sich von der Tür und trat hinter den Stuhl. Unvermittelt schlug er dem Mann seine flache Hand auf die verwundete Schulter.
„Aber er hat dich kalt drangekriegt, der kleine Finney, was?“
Dieses Mal verzog der Mann keine Miene. Nicht einmal der Schmerz flackerte in einer Reaktion auf.
„Du hattest mehr Glück als dein Kumpel“, übernahm Sung wieder. „Du bist nicht von hier. Nur jemand, der sich nicht in Singapur auskennt, sucht ausgerechnet die Unterstützung eines kokainsüchtigen Straßenräubers. Und jetzt“, damit erhob er sich, „will ich dir was zeigen.“
An der hinteren Bürowand lehnte eine Tafel, von einem Tuch verdeckt.
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