Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
knarrten bedenklich. Die Konstruktion ruckte Zentimeter zur Seite, aber hielt. Lampe und Brecheisen legte er auf den Fenstersims und prüfte, ob der 38er, sein ständiger Begleiter, sicher im Hosenbund saß. Dann packte er mit beiden Händen das bröselige Mauerwerk und zog sich durch die Öffnung hinein in das stickige Dunkel.
Er befand sich im oberen Stockwerk. An einer Stelle hatten Balken des eingestürzten Daches die Decke durchschlagen. Mondlicht zwängte sich durch die klaffende Wunde und warf bizarre Schatten in den Raum. Über den Boden aus rohen Brettern lagen verstreut zerbrochene Dachziegel, loser Schutt und zersplittertes Holz. Staub, von seinen Füßen aufgewirbelt, schwirrte im schwachen Licht seiner Taschenlampe. Die Wände starrten kahl. Piktogramm-ähnliche Zeichnungen darauf, Figuren, verzerrte Gesichter, Muster aus Punkten und Linien, verformte Tiergestalten, ausgebleicht, vor langer Zeit gemalt. In einer Ecke erkannte er eine dunkelrote Wucherung. Er trat näher und zum ersten Mal beschlich ihn das Gefühl, nicht allein zu sein. Es war ein Wachsklumpen, den zwanzig oder dreißig ineinandergesteckte und heruntergebrannte Kerzen bildeten. Die obersten konnten nicht älter als ein paar Tage sein. In dem Wachsklumpen stak eine längliche Vase, darin verwelkte Blumen. Die Dunkelheit nahm ihnen die Farbe, doch er ahnte sie. Sie leuchteten einmal in frischem Gelb. Wer kam hierher und brachte diese stummen Andenken?
Über ihm knackte es. Feiner Staub rieselte direkt vor seiner Nase herunter. Leonard untersuchte die Decke. Dunkler, fleckiger Putz. Nirgends ein Zugang zum Dachboden. Vor sich entdeckte er zwei Öffnungen mit Rahmen aus geschnitztem Holz, in einem davon eiserne Angeln. Dort musste es einmal eine Tür gegeben haben, dahinter ein schwarzes Loch. Jedes Geräusch vermeidend bewegte er sich darauf zu. Eine fensterlose Kammer, ebenso kahl wie der Raum, den er soeben untersucht hatte. Aus einer Wand ragte ein kaminartiges Gebilde aus Ziegelsteinen in das Zimmer. Der zweite Durchgang führte zur Treppe. Das Geländer fehlte, einige Stufen eingebrochen. Unten gab es, soweit er sehen konnte, nur ein Zimmer, das das ganze Erdgeschoss umfasste. Am Boden Reste des heruntergekrachten Treppengeländers. In der Mitte des Raumes, leer geräumt wie das übrige Haus, lag ein zerdrückter Korbstuhl wie das Gerippe eines in der Wüste verdursteten Tieres.
Ich habe alles aufbewahrt. Makam saya.
Aber wo? Das ganze Haus war eine verdammte Gruft. Und was meinte sie mit alles? Hatte sie den Dolch versteckt, müsste es heißen: Ich habe ihn aufbewahrt.
Er ging auf die Treppe zu und hätte es um ein Haar zu spät bemerkt. Knirschend sackte sein Fuß in ein morsches Brett am Treppenabsatz. Die obersten Stufen zitterten, Putz bröckelte herunter und fiel knisternd auf den Boden des Erdgeschosses. Rasch zog er den Fuß zurück. Dort, wo die Treppe auf dem oberen Stock auflag, gähnte ein faustgroßes Loch. Das morsche Ding würde sein Gewicht nicht tragen. Nach unten zu gelangen unmöglich.
Dumpf erklang ein Pochen. Der Schreck schlug ihm beinahe die Taschenlampe aus der Hand. Gespannt horchte er. Da war es wieder. Einmal, ein kurzer Moment der Stille, dann wieder.
Sie ist noch drin und frisst deine Seele!
Tief atmete Leonard durch.
„Reiß dich zusammen. Es ist das Haus.“
Er sollte sich lieber beeilen, bevor es über ihm zusammenbrach. Meter um Meter untersuchte er den Fußboden. Entweder steckte das, was sie aufbewahrt hatte, unter diesen Brettern oder aber, und das war die einzige, andere Möglichkeit ...
Noch einmal wandte er sich um zu der schwarzen Höhle. Wieder dieses hohle Klopfen. Kam es von dort? Aus diesem dunklen Loch? Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Leise knirschte es unter seinen Sohlen. Sein Licht flackerte in die dunkle Kammer, blieb auf dem eigenartigen Kamin hängen. Massiv, ohne Öffnung. Den Rest des Zimmers hatte man verputzt, dieses Gebilde aus Ziegelstein jedoch ausgelassen. Es erfüllte keinen sichtbaren Zweck. Die modrige Dunkelheit der Kammer verschluckte ihn. Leonard kniete sich vor den Steinblock. Schon bei der geringsten Berührung mit dem Finger bröselte der Mörtel aus den Ritzen. Sacht klopfte er die Steine ab. Das Ding war hohl. Mit der Spitze des Brecheisens kratzte er so viel Mörtel heraus, bis er den ersten Ziegel lösen konnte. Das Loch erwies sich als zu klein, um gleichzeitig hineinleuchten und sehen zu können. Die nächsten Ziegel lockerte er mit
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