Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Fuß. Was Finney von ihm gewollt hatte, lag auf der Hand.
„Ganz klare Nummer“, sagte Chao. „Er hat sich falsche Papiere von Reidy gekauft und ihn dann umgelegt. Damit er nicht verraten kann, wohin die Reise geht.“
„Tja, das ist die große Frage. Wohin geht die Reise?“, sinnierte Sung und legte Reidys Aktenblatt beiseite.
„Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt, ob er Singapur schon verlassen hat?“
„Absolut null, Chief. Und ich fürchte, er entkommt uns. Wir haben immer noch kein vernünftiges Fahndungsfoto. Nur unser beschissenes Phantombild.“
Der Sache überdrüssig schlug Inspector Sung mit der Faust auf den Tisch.
„Was ist so verflucht schwierig daran, ein verdammtes Foto zu beschaffen?“
„Na ja, Chief, Malaysia. Die sind zuständig. Dort soll er den Mord begangen haben. Also müssen sich die Kollegen vor Ort drum kümmern. Und das britische Konsulat stellt sich quer, weil denen die Beweislage zu dünn ist.“
„Was sich ja jetzt wohl ändert. Zwei Morde nach dem gleichen Muster und immer steckt der Kerl da drin.“
„Dürfte zu spät sein, Chief. Wenn ich Finney wäre, säß ich jetzt auf Tahiti oder sonst wo.“
Sungs Telefon meldete sich. Es war ein kurzes Gespräch. Sung wollte keine Überraschungen, aber er bekam eine.
„Ein Kollege aus der Fahndungsabteilung“, sagte er nachdenklich.
„Haben Sie ihn?“
„Nein, nein. Wär auch zu schön. Ein Mitarbeiter des Militärarchivs hat sich gemeldet. Ist wohl doch nicht so beschissen, das Phantombild. Finney war dort. Leider hat der Mitarbeiter erst geschnallt, wen er vor sich hatte, als der Engländer längst weg war.“
„Was macht der im Militärarchiv?“
„Keinen Schimmer, was das bedeuten soll. Er hat sich mit einem falschen Namen angemeldet. Conley. Meinte, er wolle nach seinen Ahnen forschen.“
„Ahnenforschung?“, fragte Chao verständnislos.
„Er interessierte sich brennend für einen Mann namens Blackford Conley. Britischer Offizier. Soll irgendwo in Burma begraben liegen.“
„Burma. Da will er also hin“, grinste Chao.
„Was findest du daran so lustig?“
„Wenn es ein Land gibt, in dem er sich nicht verstecken kann, dann ist es Burma.“
In der Stimme seines Assistenten hörte Sung so etwas wie Triumph.
„Das burmesische Militärregime ist komplett paranoid. Sie überwachen alles und jeden. Erstens kriegt der Bursche nur ein 7-Tage-Visum. Als Ausländer darf er sich nur auf wenigen, ausgewiesenen Strecken bewegen. Der größte Teil des Landes ist Sperrzone. Kämpfe mit Widerstandsbewegungen, Drogenhandel, der ganze Dreck. Er läuft durch die Landschaft wie ein bunter Hund.“
„Chao, du klingst so, als würdest du Finney verfolgen wollen“, sagte Sung. „Das können wir nicht. Wir können nicht nach Burma rein.“
„Nein, nein. Schon klar“, beeilte sich Chao zu sagen. „Er kann nur über Rangun rein und wieder raus. Und zwar dorthin, wo er hergekommen ist. Hierher. Nach Singapur. In sieben Tagen haben wir ein Fahndungsfoto. Und damit werden wir ihn freundlich begrüßen.“
Chao beabsichtigte nicht, auf diese Karte zu setzen. Damit würde er kaum seinem Platz auf Chan Khuos Lohnliste gerecht werden. Den Engländer traf keine Schuld, weder am Tod Reidys noch an irgendwelchen anderen Morden. Der wirkliche Killer wollte den Engländer. Der Tod des Fälschers war eine Verwechslung. Also jagten sie immer noch hinter Finney her. Warum suchte er sich ausgerechnet den Fluchtpunkt aus, der ihm von allen die größten Schwierigkeiten bereiten würde? Er musste dorthin, kein Zweifel. Egal, was er dort suchte, Chan Khuo dürfte daran interessiert sein. Wie viel mochte ihm die Information wert sein, wohin der Kerl verschwunden war?
Teil 2
Kapitel 18
September 2013, London, England
Die Wiedergabe des bisherigen Geschehens erzeugte in mir ein Gefühl, als sähe ich schemenhafte Bewegungen hinter einer Milchglasscheibe. Ohne erkennen zu können, was auf der anderen Seite vor sich ging. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen Ereignissen um eine Kette von Zufällen handelte. Alles griff auf eine zwanghafte Art ineinander. Wie eine diabolische Mechanik, die das Geschick Leonard Finneys und der anderen Beteiligten lenkte. Zu dieser Ansicht gelangte ich auch, weil mich in jüngster Zeit, gegen die Gewohnheit, häufiger dunkle Träume plagten. In Ermangelung jeder anderen Erklärung schob ich sie dem hölzernen Götzen zu, der sich in Korbmachers
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