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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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einem schmalen Köcher, den er auf dem Rücken trug. Nur ein Messer, scharf wie ein Skalpell. Das reichte für die heutige Nacht. Es würde schnell gehen. Die Lichter in dem heruntergekommenen Wohnblock verlöschten nach und nach. Eines davon war das Appartement Nummer 434 im vierten Stock. Dort, wo der Engländer, ohne es zu wissen, seine letzten Minuten verbrachte.
Der Lautlose wartete. Problemlos hätte er auf den Schutz der vollkommenen Dunkelheit verzichten können. Auch im Licht des Tages schlich er sich unsichtbar an seine Opfer. Es war ein Warten auf den richtigen Moment. Jede Aktion teilte sich in ein Vorher, ein Jetzt, ein Danach. Betrachtete er das Danach, hatte er den Mord bereits ausgeführt. In dieser Linie der Zeit gab es einen einzigen, perfekten Ablauf für seine Tat. Aber Hunderte, in denen jede Kleinigkeit die Harmonie störte. Erfolgte die erste Bewegung zu früh oder zu spät, wurde der Gang der Ereignisse unkontrollierbar. Noch nie war er gescheitert. Aber er wählte manchmal den falschen Moment. Das zwang ihn, zu improvisieren, auf unvorhergesehene Zwischenfälle zu reagieren. Nur die Harmonie verschaffte ihm Befriedigung. Nur der richtige Moment garantierte die dazu nötige schlafwandlerische Sicherheit. Weil er sich auf der Linie des perfekten Ablaufs befand. Er sank in ein tiefes Nicht-Denken. Minuten später setzte er den ersten Schritt nach vorn aus dem Schatten seines Verstecks. Es war der richtige Moment.
Er überquerte die Rasenfläche vor dem Wohnblock, schlängelte in einen Seiteneingang. Drinnen roch es widerlich nach Menschen. Vollgeschissene Windeln, verstopfte Klos, Essen, Waschmittel, Spiritus, Räucherstäbchen. Von überall Geräusche, Fernseher, Geklapper von Spielsteinen, das Stöhnen eines kopulierenden Paares, Flaschenklirren, Gegröle.
4. Stock, Appartement 434. Lo Han wischte hinauf, über achtlos hingeworfenen Müll hinweg, unsichtbar vorbei an den wenigen Gestalten, die sich bei den Treppenabsätzen aufhielten. Niemand im Gang des vierten Geschosses. Aber das wusste er. Perfekter Ablauf. Vor der Tür Nummer 434 hielt er kurz inne, horchte. Kein Laut. Das Türschloss stellte kein Hindernis dar. Lautlos glitt er hinein. Sekunden brauchte er nur, um sich an das Dunkel zu gewöhnen. Das winzige Appartement roch nach billigem Parfum. Gleich rechts neben der Tür ein Tischchen, darauf lag ein Bündel aus Fell in der Größe eines Schreibblocks. In dem einzigen Zimmer, auf dem Bett, schnarchte ein Mann vor sich hin. Mit einer geräuschlosen Bewegung zog Lo Han das Messer aus dem Köcher. Nur er selbst hörte die Klinge singen, als sie aus der Scheide glitt. Der metallene Griff taute das Eis unter der Haut seiner Handfläche. Zwei Schritte und er stand neben dem Bett. Er zögerte nicht, wie er es nie tat. Andere kosteten diesen Moment aus. Wenn sie sich über ihr ahnungsloses Opfer beugten, die Macht genossen, Herr der Lage zu sein über Leben und Tod. Widersinnige Gedanken.
Die Silhouette des Mannes zeichnete sich klar ab, hell schimmerte die Haut. Bekleidet, das Hemd geöffnet, lag er auf dem Rücken. Wie zur Operation bereit. Lo Han hob den Arm, bog die Spitze der Klinge nach unten. In diesem Haus voller Menschen vermied er das Risiko, dass sein Opfer mit Schreien auf sich aufmerksam machte. Er visierte die Kehle an. Finney würde noch lange genug leben, um bei vollem Bewusstsein mitzuerleben, wie ihm die Leber rausgeschnitten wurde. Dann stieß er zu. Das Gesicht des Engländers zeichnete sich im Dunkeln nur als schemenhafter Umriss ab. Aber die Augen blitzten darin, aufgerissen in verständnislosem Schrecken darüber, was mit ihm geschah. Seine Arme und Beine zappelten, er gurgelte und röchelte. Vergeblich versuchte er, seinen Oberkörper aufzurichten. Nur drei Bewegungen brauchte Lo Han. Mittlerweile konnte der Lautlose sie blind ausführen. Mit dem ersten Schnitt, am Unterleib angesetzt, sauste die Klinge bis zum Ansatz des Brustkorbs durch. Es ratschte, als schließe man heftig einen Reißverschluss. Zwei weitere und die Leber des Mannes rutschte heraus, über die Leiste, wie eine Flunder, die man am Haken über eine Bootswand zog. Das Röcheln des Mannes hob kurz an, stoßweise, und erstarb dann. Sein kurzer, heftiger Todeskampf endete. Lo Han wischte das Messer am Laken ab und verstaute das herausgetrennte Organ in eine Plastiktüte. Auch über die makabre Eigenart Chan Khuos, die Leber seiner Opfer zu essen, machte er sich keine Gedanken. Er griff nach dem

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