Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
mysteriösem Paket befunden hatte. Ich bewahrte ihn zunächst in einem Schrank im Schlafzimmer. Später ertappte ich mich dabei, für die Statue einen anderen Platz zu suchen, möglichst weit von meinem Bett entfernt. Trotzdem suchten mich diese nächtlichen, wild wuchernden Phantasien regelmäßig heim. Wie bei Träumen üblich, handelte es sich um wüst miteinander kombinierte Versatzstücke aus den Tiefen des Gedächtnisses. Es tauchte jedoch häufig ein Motiv auf, das ich in der Dämmerung meines Schlafes bislang nie gesehen hatte. Ich streifte durch schattige Urwälder, mit der Seele und den Gedanken eines Eingeborenen. Ich nahm an, Korbmachers finsterer Bericht, die Schilderung des Grauens, das ihm in den dunklen Wäldern Sarawaks begegnet war, habe diese Visionen erschaffen. Sie begannen stets friedlich, bis allmählich, wie das Aufziehen von Gewitterwolken, eine schwarze Bedrohung heranschlich, ungreifbar, unsichtbar, überall ringsum lauernd, sogar in mir drin. Kurz vor dem Erwachen schwanden die Bilder, das Drohende schwebte jedoch noch eine Weile im Raum, nachdem ich die Augen bereits geöffnet hatte.
Bei einem Abendessen mit Freunden, allerdings erst nach zwei, drei Glas Wein, erwähnte ich, dass diese Träume erst auftraten, seitdem sich der Götze in meinem Besitz befand. Gerald bot sich an, den kleinen Kerl, wie er sagte, zu untersuchen. Er führte ein Geschäft, in dem er Kunsthandwerk aus Ländern der Dritten Welt verkaufte. Kein ausgewiesener Experte verfügte er dennoch über ein größeres Wissen als ich, was solche Arbeiten anging.
„Uuaah“, machte er und drehte die Statue in den Händen. „Der würde mir auch Angst einflößen.“
Schon diese erste Einschätzung lief mir kribbelnd den Rücken hinunter. Mein Freund bestätigte auch meine anfängliche Vermutung.
„Ein Wächter. Das hab ich mal in Sumatra gesehen. Eigentlich sind es etwa zwei Meter hohe Holzstäbe, aus denen Figuren herausgeschnitzt werden. Dieser hier bildet den oberen Abschluss.“
Er drehte die Statue in der Hand und fasste mit einem Finger in eines der Glotzaugen.
„Dacht´ ich mir. Hohl!“
„Was ist daran besonders?“
„Diese Stäbe dienten der Dämonenabwehr“, erklärte er. „Sie wurden rund um das Dorf aufgestellt. Beachteten die Bewohner alle Tabus, so hielten diese Figuren die Geister des Urwalds fern. Um die magischen Kräfte dieser Bannpfähle zu erhöhen ...“
Zögernd fügte er an:
„Na ja, das ist ein bisschen gruselig.“
Ob er die Absicht verfolgte, mir einen Schrecken einzujagen, wusste ich nicht. Es gelang ihm jedenfalls.
„Der Kopf des Wächters wurde ausgehöhlt und man füllte ihn dann mit menschlicher Hirnmasse.“
Bei dem schauerlichen Gedanken, auch dieser Götze könnte einmal das Gehirn eines Menschen enthalten haben, beschloss ich sofort, die Statue im Keller verschwinden zu lassen.
„Er stammt also von Kopfjägern?“, fragte ich.
„Nehm ich an, ja. Sie werden sich bei ihren Opfern bedient haben. Ich meine, freiwillig gibt ja wohl keiner seinen Denkapparat her.“
Sichtbar drückte mir die Vorstellung einer solchen Ungeheuerlichkeit auf die Seele.
„Wo hast du ihn her?“
„Die Einzelheiten erspar ich dir lieber.“
Denn das, fürchtete ich, würde ihm einen Schrecken einjagen. Wie ich seinem Gesichtsausdruck entnahm, lag ihm noch eine andere Geschichte auf dem Herzen.
„Hör mal, Ruben, das mit deinen Träumen“, begann Gerald vorsichtig. „Ich weiß, du gehörst zu den Leuten, die sich keine Gedanken um dieses Dämonen-Tamtam machen. Aber als du neulich diesen Wächter erwähntest, hast du den anderen eine Heidenangst eingejagt.“
Er druckste herum.
„Es war eben nicht nur das. Du benimmst dich überhaupt komisch in letzter Zeit.“
„Ich bin da auf eine sonderbare Geschichte gestoßen. Ich werde dir, euch allen, davon erzählen, sobald ich mir mehr Klarheit verschafft habe.“
Wenn sich mein Verhalten für die anderen so spürbar veränderte, legte sich diese sonderbare Geschichte schwerer auf mein Gemüt, als ich dachte.
Mir fiel das schwarze Büchlein wieder ein, das sich in Korbmachers Paket befunden hatte. Es handelte sich dabei nicht, wie vermutet, um eine Bibel, obwohl es einmal zum Besitz eines Priesters gehört hatte. Reverend Elijah Willet, Feldgeistlicher der britischen Kolonialarmee in Oberburma. Hauptsächlich enthielt das Büchlein eine Sammlung alter Mythen, Legenden und Märchen, vorwiegend aus dem Mittleren und Fernen Osten. Und es
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