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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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solchen Stadt beinahe das Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden. Grotesk, dass ihn ein unschuldiges Kind um ein Haar das Leben gekostet hätte. Nicht Kavenay, Chan Khuo oder sein obskurer Entführer waren ihm hierher gefolgt. Sondern das, was auch den ahnungslosen Gästen im Zimmer 300 auflauerte. Lautlos in einer Ecke, solange man wachsam blieb, aber sich mit kaltem Atem anschleichend, sobald diese Aufmerksamkeit nachließ.
Wie dort war auch hier in der ersten Nacht der Horror des schwarzen Gebirges über ihn hergefallen. Die Vision von der nächtlichen Autofahrt über den dunklen Pass, der stumm schwebende Geist, der herunterstürzte und das Wageninnere mit seinem Blut übergoss. Früher achtete Leonard nie darauf, doch seit er sich in Asien aufhielt, erschien dieser Albtraum als Todesbote. Wann immer er an die Oberfläche stieg, sprang das lauernde Grauen aus seinem Versteck. In der Merchant Road im alten, vergessenen Rangun stellte der Traum ihm ein dürres Gespenst zur Seite. Die Ahnung, alles andere als in Sicherheit zu sein.
    Die Nationalbibliothek erwies sich als einzig brauchbare Quelle , um etwas über Burmas koloniale Vergangenheit zu erfahren. Er fand sie verschlossen vor. Kein Lieblingsziel der ohnehin sparsam auftretenden Touristen gab es seine Öffnungszeiten nur in burmesisch an. Als Ausländer erregte er zu seinem Glück das Interesse eines Bibliothekars. Die Tür wurde von innen aufgeschlossen, und ehe sich Leonard versah, stapfte er mit dem Mann die quietschenden Stiegen hinunter in das Kellergeschoss. Der Bibliothekar verfügte über erstaunliche Englischkenntnisse und ein noch größeres Verlangen, diese auch anzuwenden. Unter dem trüben Licht von Glühbirnen erzählte er Leonard, die derzeitige Regierung sei nicht sonderlich stolz auf die Zeit unter britischer Herrschaft, mild ausgedrückt. In dem Bestreben, das unrühmliche Kapitel aus dem Gedächtnis zu löschen, sei viel vernichtet worden. Wenig, zu wenig, jammerte er, habe man retten können. Und dies Wenige wurde noch im dunkelsten Winkel versteckt. Besorgt fragte Leonard, ob sich der Bibliothekar einer Straftat schuldig mache. Ob es erlaubt sei, einem Ausländer jenes unrühmliche Kapitel zu offenbaren.
„Machen Sie sich keine Gedanken“, antwortete der Mann. „Offiziell werden Sie über diesen Abschnitt unserer Geschichte hier überhaupt nichts finden. Hier sammeln wir nur Dokumente, die sich mit dem Widerstand gegen die Briten beschäftigen.“
Verschmitzt zwinkerte er. „Aber wie wollen Sie von unseren Helden berichten, ohne dabei auch die Gegner zu erwähnen?“
Sie zwängten sich durch Gänge, verstellt mit schiefen Regalen. In ihnen häuften sich Ordner, Kästen und Bücher, die einen muffigen Geruch verbreiteten.
„Wie, sagten Sie, war noch mal der Name?“
„Conley. Captain Blackford Conley. Um das Jahr 1885 herum.“
„Das ist lange her. Warum interessieren Sie sich dafür?“
„Eine persönliche Angelegenheit.“
Damit machte Leonard sich eine Eigenart der Asiaten zunutze. Wollte man lästiges Nachfragen unterbinden, beschränkte man sich auf vage Andeutungen.
„1885“, murmelte der Bibliothekar. „Oh, das war ein schreckliches Jahr.“
Seine Finger huschten über die krakeligen Signaturen.
„Man erzählte sich früher eine seltsame Geschichte. In jenem Jahr 1885 hörten die Bewohner am Fuß des Mainthong, eines hohen Berges, von oben Kanonendonner, Kreischen, Rufen und den Lärm herabstürzender Felsen. Obwohl dort oben niemand war. Nie je eine Siedlung existierte.“
Hin und wieder holte er einen Ordner heraus, überflog ihn, schob ihn beiseite, kramte in einem der Kästen.
„Der Gipfel des Berges war heilig, Wohnsitz der Nats, mächtiger Geister. Sie können sich vorstellen, wie erschrocken alle waren. Es galt ihnen als Zeichen, dass schreckliche Dinge geschahen. Und dann, wenige Tage später, kam die Nachricht vom Fall Mandalays. Die Briten waren einmarschiert. In diesem Jahr verloren wir für immer unseren König.“
Er erzählte es, als betreffe ihn das unmittelbar. Und vielleicht tat es das auch.
„Ich kann nichts finden“, sagte er dann.
„Vielleicht gibt es Unterlagen über die britischen Einheiten. Conley war bei den South Wales Borderers.“
„Ja, das ist eine Möglichkeit.“
Ihm nächsten Gang zupfte er einen Karton aus einem Regal und drückte ihn Leonard in die Hand.
„Sehen Sie mal rein. Ich schaue, ob es noch mehr gibt.“
Murmelnd hangelte sich der Bibliothekar am Regal

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