Das Auge der Fatima
aufstiegen.
»Komm herein«, sagte Beatrice freundlich. Aus ihrer Zeit im Harem des Emirs von Buchara wusste sie, dass die jungen Dienerinnen, meistens völlig verängstigte, schüchterne Wesen, für ein nettes Wort und ein Lächeln mehr als dankbar waren. Für ein bisschen Freundlichkeit taten sie beinahe alles.
»Herrin«, sagte das Mädchen und verneigte sich. »Die Herrin befahl mir, Euch bei der Reinigung und beim Umkleiden zu helfen.«
»Ich danke dir«, erwiderte Beatrice und begann bereits damit, ihre staubige, verschwitzte Reisekleidung auszuziehen. »Vor allem brauche ich jedoch warmes Wasser, ein Fläschchen Myrrhe und saubere Tücher für meine Füße.«
»Ich habe schon alles dabei, Herrin«, sagte das Mädchen. »Außerdem habe ich noch einen Tiegel mit Salbe aus Ziegenfett mitgebracht. Damit könnt Ihr Eure wunden Füße behandeln.«
Und dann kniete sich das Mädchen auf den Boden vor Beatrice nieder und begann ihr vorsichtig die Stiefel auszuziehen.
Während das Mädchen mit sanften und geschickten Händen ihre Füße badete, sie abtrocknete und das Myrrheöl auftupfte, dachte Beatrice an ihre Zeit in Buchara zurück. Sie hatte lange gebraucht, um sich an die ständige Anwesenheit der Diener zu gewöhnen. Es war ihr schwer gefallen zu akzeptieren, dass die Mädchen ihr jeden noch so kleinen Handgriff abnahmen. Manchmal hatte sie sich gefühlt, als hätte man sie in eine Zwangsjacke gesteckt. Und bis zum Schluss hatte sie es abgelehnt, die Diener so zu betrachten, wie alle anderen es taten. Für die anderen Frauen im Harem waren die Diener nichts als lebloses, allerdings sehr nützliches und daher unentbehrliches Inventar gewesen. Möbelstücke - zwar anwesend, aber ohne Augen, ohne Ohren und auch ohne Gefühle.
Nur wenig später war Beatrice fertig angekleidet. Sie trug ein knöchellanges Kleid aus federleichter hellblauer Wolle. Ihre Füße waren verbunden und steckten in weichen bunt bestickten und mit Schaffell gefütterten Pantoffeln. Das Mädchen war gerade dabei, Beatrices Haare zu bürsten und sie mit zierlichen Kämmen aus Perlmutt an den Seiten festzustecken, als es an der Tür klopfte. Die Dienerin lief hin und sprach ein paar hastige Worte, dann eilte sie zu Beatrice zurück.
»Nima ist da, Herrin, um Euch zum Festsaal zu bringen«, sagte sie und fuhr Beatrice mit der Bürste ein wenig schneller durch die Haare. »Das Festmahl zu Ehren unserer jungen Herrin Yasmina beginnt in wenigen Augenblicken.«
»Sind viele Gäste heute Abend anwesend?«, fragte Beatrice so beiläufig wie möglich.
»O ja, Herrin!«, antwortete das Mädchen und strahlte über das ganze Gesicht. »Alle Frauen des Dorfes sowie alle weiblichen Verwandten der Familie sind heute geladen. Sogar wir«, sie zeigte auf sich, »die Dienerinnen des Hauses, dürfen an den Festlichkeiten zu Ehren unserer jungen Herrin teilnehmen. Heute Abend nimmt sie Abschied.«
»Abschied?«, fragte Beatrice und versuchte ihre Erleichterung zu verbergen. Wenn viele Gäste da waren, würde man ihr selbst sicher nicht so viel Aufmerksamkeit schenken.
»Ja.« Das Mädchen nickte eifrig, und Beatrice hatte den Eindruck, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Abschied von den unbeschwerten Tagen der Jugend, Abschied von der Jungfräulichkeit, Abschied von dem Haus, in dem sie geboren wurde und aufgewachsen ist, Abschied von Qum. Morgen gleich nach Sonnenaufgang wird Yasmina ihren Bräutigam heiraten, dem sie seit vielen Jahren versprochen ist. Und wenn die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber sind, wird sie gemeinsam mit ihm Qum verlassen und in seine Heimat ziehen - in das ferne Gazna.« Sie schluckte. »Verzeiht, Herrin«, sagte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. »Ich weiß, ich sollte mich für Yasmina freuen, ist doch die Heirat neben der Geburt des ersten Sohnes das Schönste, das im Leben einer Frau geschehen kann. Es verleiht ihrem Leben Glanz, gibt ihrem Dasein einen Sinn. Und dennoch ... ich werde unsere junge Herrin vermissen. Wir alle werden sie vermissen ...«
Beatrice runzelte unwillig die Stirn und umklammerte die Armlehnen des Sessels. Ihr fielen auf Anhieb wenigstens hundert Dinge ein, die wunderbar geeignet waren, dem Leben einer Frau Glanz und Sinn zu verleihen und die gleichzeitig nichts mit Hochzeit oder Söhnen zu tun hatten. Trotzdem hielt sie den Mund. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit einer Dienerin über die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu diskutieren.
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