Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
und begann mit seinem Bericht ohne Umschweife. Eine der Eigenschaften, die Hassan an seinem Freund besonders schätzte. »Einer der Brüder hatte etwas entdeckt, das ich mir unbedingt ansehen sollte. Es duldete keinen Aufschub, sodass ich nicht einmal mehr nach Alamut zurückkehren oder einen der beiden Brüder dorthin zurückschicken konnte. Deshalb hast du auch keine Nachricht von mir erhalten.«
    Hassan neigte seinen Kopf. Er nahm die Entschuldigung an.
    »Und, was war es?«, fragte er. »Was haben die Brüder gefunden?«
    »Ein Grab.«
    Hassan hob eine Augenbraue und schnalzte mit der Zunge. Gräber gab es überall. Genau genommen war die Wüste ein einziger riesiger Friedhof. Immer wieder starben Reisende an Krankheiten, Auszehrung oder wurden von Räubern oder habgierigen Mitreisenden ermordet. Meist wurden die Unglücklichen an Ort und Stelle verscharrt. Wenn also die Brüder sich die Mühe gemacht hatten, Osman von seiner wichtigen Mission zurückzurufen, und ihn hier in Gazna vergeblich warten ließen, so musste es etwas Besonderes mit diesem Grab auf sich haben.
    »Das Grab lag in der Nähe von Qazwin, genauer gesagt auf halbem Wege zwischen Qazwin und Alamut. Es trug das Zeichen des Auges.«
    »Und?«, fragte Hassan obwohl er die Antwort bereits kannte. Das Auge war das Zeichen der Anhänger einer Sekte, die sich »Die Hüter der Steine der Fatima« nannten - eine willkürliche Ansammlung von Tagedieben, Verrückten, Ketzern, Gottlosen und Juden, die sich dem »Schutz« der Steine der Fatima verschrieben hatten. So nannten sie es wenigstens. In Wahrheit jedoch hatten diese Kerle nur ein einziges Ziel im Auge - die Steine der Fatima in ihren Besitz zu bringen, sie den Söhnen Allahs, den wahren Erben des heiligen Auges der Fatima, wieder abzujagen. Natürlich hätte es sich um das Grab des Nomaden und des Mädchens mit den goldenen Haaren handeln können. Sie hatten einen der heiligen Saphire. Außerdem vermutete Hassan, dass sie ebenfalls Mitglieder dieser Sekte waren. Doch dann wäre Osman wohl kaum so abgerissen und erschöpft bei ihm aufgetaucht.
    »Es war das Grab unserer vermissten Brüder.«
    Hassan hielt den Atem an. Obwohl er mit dieser Nachricht gerechnet hatte, trafen ihn die Worte doch schwerer als der Hammerschlag eines Schmiedes.
    »Wie könnt ihr euch dessen so sicher sein?«
    Osmans Gesicht wirkte wie versteinert. Nur die Muskeln an seinen Schläfen arbeiteten, und eine steile Falte stand zwischen seinen dichten Augenbrauen. Dies war also noch nicht das Ende der Katastrophe.
    »Wir haben sie ausgegraben, Hassan. Keine Sorge«, fügte er rasch hinzu, »wir haben uns nicht mit der Sünde der Leichenschändung besudelt. Zwei abgerissene Bettler, bereit, für ein paar lausige Kupfermünzen ihre Seele an den Teufel zu verkaufen, haben das für uns erledigt.«
    »Und sie waren es? Unsere Brüder?«
    »Ja. Alle vier.« Osman schluckte. Sein Gesicht war weiß, und seine Stimme zitterte vor mühsam unterdrücktem Zorn, als er weitersprach. »Ihre Körper waren in einem furchtbaren Zustand. Diese verfluchten Kerle haben sie behandelt wie die Tiere. Notdürftig im Sand verscharrt und nicht einmal mit einem Tuch umwickelt, sodass die Körper unser Brüder den Käfern und Insekten schutzlos ausgeliefert waren. Und dann ihre Wunden ...« Er brach ab und biss so fest die Zähne zusammen, dass es hörbar knirschte. »Sie sahen aus, als hätte ein Dämon sie in seinen Klauen gehabt. Erkan fehlte das rechte Bein. Anwar war von so vielen Wunden bedeckt, dass man sie nicht einmal mehr zählen konnte. Jussuf hatte man den Bauch aufgeschlitzt ...«
    Hassan schloss die Augen. Die Trauer und der Schmerz, die er anfangs empfunden hatte, waren verschwunden. Jetzt übermannte ihn der gleiche Zorn, den auch Osman spürte. Gerechter Zorn. Heiliger Zorn, der nach Rache und Vergeltung schrie.
    »Und Nuraddin?«, fragte er. »Was war mit ihm?«
    »Ihm ist die Kehle durchgeschnitten worden.« Osmans geballte Faust schlug auf den niedrigen Tisch, sodass Messingteller, Becher und Wasserkrug bebten und klirrten. »Solange ich lebe, werde ich diesen Anblick nicht vergessen.«
    Hassan erhob sich und ging langsam im Zimmer auf und ab.
    »Habt ihr Spuren gefunden?«
    Osman schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Dafür war schon zu viel Zeit verstrichen. Außerdem weißt du ja, wie gerissen und vorsichtig diese >Hüter< sind.« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Sie tauchen auf und verschwinden wieder, sodass man meinen könnte, sie

Weitere Kostenlose Bücher