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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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den Kopf seines Kameraden über Wasser. Bangor. Bangor schob Andris den leblosen Körper von Bellanes zu und half ihm ihn ins Boot zu hieven. Dann kletterte er hinterher und ließ sich auf den Boden fallen, während Andris versuchte, Bellanes wieder zu beleben.
    Er presste auf die Lungen des Ohnmächtigen, wobei das Boot wild ins Schaukeln geriet, und endlich schoss ein Wasserschwall aus Bellanes' Mund. Der junge Mann hustete und begann heftig zu zittern. Als er seine Augen öffnete, lächelte er.
    „Andris, bin ich tot?", fragte er matt. „Du siehst nämlich aus wie ein Engel."
    Er versuchte sich aufzurichten, aber Andris drückte ihn auf den Boden zurück. Bellanes schloss die Augen, neben ihm lag Bangor und schlief. Andris riss sich zusammen und setzte sich wieder an die Ruder, seine Lippen formten stumm ein Dankgebet.
    Die Freude über die Rettung seiner Freunde schenkte ihm neue Kraft, doch bald rebellierten seine angestrengten Muskeln. Die Ruder wurden schwer und schwerer. Schließlich ließ Andris sich auf die Ruderbank fallen und vom Schlaf übermannen.
    Heftiger Regen weckte Andris auf. Er schreckte hoch. Sein ganzer Körper fühlte sich wie zerschlagen an. Er streckte seine steifen Arme aus und versuchte, seine verspannten Schultern zu lockern. Der Himmel war von bedrohlichen, schwarzen Wolken beherrscht, doch ein matter Sonnenstreifen im Westen verriet ihm, dass es Nachmittag war. Die Flut hatte gute Arbeit geleistet und er konnte den Strand in etwa zwei Kilometern Entfernung ausmachen. Nun begannen auch seine Kameraden sich zu rühren. Bangor schlug mit den Armen um sich, um die trommelnden Regentropfen zu verscheuchen, Bellanes setzte sich auf und sah über die unruhige See.
    „Danke, dass du nach uns gesucht hast", sagte Bellanes und zog sich auf die Ruderbank gegenüber von Andris. Regenwasser floss an seinem nackten Oberkörper herab.
    „Klar", sagte Andris, „was hätte ich sonst tun sollen?" Bangor versuchte stöhnend sich aufzurichten. „Guter Mann, Andris."
    „Also", sagte Andris und griff nach den Rudern, „was ist da draußen geschehen?"
    „Oh, Junge", grunzte Bangor, „einige Schiffe haben Feuer gefangen, mehr weiß ich nicht. Wir haben versucht, unsere Haut zu retten, und sind einfach losgeschwommen."
    Andris sah Bellanes fragend an. Das Antlitz seines Anführers war wachsbleich, die Augen trüb.
    „Andris", sagte Bellanes mit steifer Stimme. „Andris, dreh dich langsam um."
    Der große Mann legte die Ruder ein und drehte sich um. „Was ist?"
    „Da, am Boot", zeigte Bellanes.
    Zwei Hände klammerten sich um den Bootsrand. Dann waren sie plötzlich verschwunden und man hörte ein Platschen.
    Bellanes lehnte sich über den Rand. „Warte!", rief er. „Zeig dich."
    Der Mann schwamm weiter. Bellanes setzte seine Ruder in die Dollen und ruderte mit Andris los. Bald hatten sie den Schwimmer überholt. Der Fremde war offensichtlich viel zu erschöpft, um vor ihnen wegzutauchen. Andris griff nach einem Fischernetz und warf es über den Fremden. Dann spannte er die Leinen und zog ihn zum Boot.
    „Sprich, wer bist du?", sagte Bellanes. Keine Antwort. Bellanes hievte ihn ins Boot wie einen großen Fisch. Dort öffnete er das Netz. Die Haut des bewegungslosen Mannes war blau und aufgequollen. Über seine Brust zog sich eine sternförmige Narbe. „Er gehört nicht zu uns", sagte er.
    „Ein Sliviiter!", brüllte Andris und schwang sein Ruder, um es dem Fremden über den Kopf zu hauen. „Halt!", befahl Bellanes.
    Auf halben Weg ließ Andris das Ruder sinken. Der Fremde sah Bellanes an und streckte ihm langsam eine geöffnete Hand entgegen. Auf seinem Unterarm war ein Zeichen eingebrannt.
    „Ein sliviitischer Sklave", sagte Bangor überrascht. „Ein starker und tapferer Mann", antwortete Bellanes. „Was sollen wir mit ihm anfangen?", fragte Andris finster.
    „Sei sein Lehrer", sprach Bellanes leise, ergriff mit beiden Händen die Hand des Mannes und schenkte ihm einen ermutigenden Blick. „Sein Lehrer? Was soll ich ihm beibringen?" „Ein freier Mann und Bruder zu sein. Andris, darf ich dir das neueste Mitglied unserer Bande vorstellen?" „Das kann nicht dein Ernst sein!"
    „Kann es wohl. Dieser Mann hat mehr Kraft und Fantasie als wir alle. Solch einen Mann können wir gut gebrauchen." Bellanes massierte die geschwollenen Finger des Mannes.
    „Du bist verrückt geworden da draußen im Meer! Die Bande braucht keinen neuen Mann, Bellanes." Aber Bellanes lächelte, als sei ihm ein

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